■ Jeder zelebrierte sich in Haiti auf seine Art: Jean-Bertrand Aristide, Bill Clinton und Butros Butros Ghali: Es geht ums blanke Überleben der Demokratie
Es war ein höchst dubioses Erfolgserlebnis, das da am letzten Freitag in Port-au-Prince gefeiert wurde. Der Präsident der Vereinigten Staaten zelebrierte eine US-Militärintervention unter dem Banner des Humanitarismus, die in den USA alles andere als populär ist. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen zelebrierte eine UN-Mission, die ihm die USA in bewährter Manier aus der Hand genommen hatten. Und der haitianische Präsident dankte einer Supermacht, die ein gerüttelt Maß Mitschuld trägt an der Verelendung seines Landes. Vor noch nicht allzu langer Zeit existierten die USA im Wortschatz des Jean-Bertrand Aristide nur als das „kalte Land im Norden“.
Haitis Chance besteht darin, daß diese drei nunmehr in einer Art Schicksalsgemeinschaft zum Erfolg verdammt sind – aus unterschiedlich ehrbaren Motiven. Bill Clinton, weil er sich angesichts des nächsten Wahlkampfs ein weiteres außenpolitisches Desaster wie in Somalia nicht leisten kann; Butros Butros Ghali, weil ein Scheitern in Haiti die Rolle der UNO als Peacekeeper endgültig desavouieren würde; für Jean-Bertrand Aristide, weil nicht nur seine politische Zukunft auf dem Spiel steht, sondern auch die erste, wahre Chance seines Landes, zum ersten Mal in seiner Geschichte demokratische Strukturen aufzubauen.
Er wird das unter der ökonomischen Fuchtel des IWF und Washingtons tun müssen. Das ist der Preis für die militärische Rettungsaktion durch die USA. Nicht soziale Gerechtigkeit steht unter diesen Vorzeichen an erster Stelle, sondern exportorientierte Produktion zu Billiglöhnen. Daraus machen die Verantwortlichen bei IWF, Weltbank und USAID gar keinen Hehl. Das birgt politischen Sprengstoff, denn die zahlreichen Basisorganisationen, die Aristides politisches Fundament bilden, haben da ganz andere Vorstellungen – und sie haben nicht zuletzt dank der Militärintervention jetzt den Spielraum, ihre Forderungen hörbar zu machen.
Vorerst aber geht es in Haiti um nichts anderes als das blanke Überleben der Demokratie. Dafür sind zwei Voraussetzungen von zentraler Bedeutung: Erstens muß das Mandat für die UNO-Mission unbedingt über das bisher geplante Datum für den Abzug der Blauhelme im März 1996 hinaus verlängert werden. Zweitens muß die Clinton-Administration signalisieren, daß sie auch im Falle gewalttätiger Konfrontationen mit Anhängern der Militärdiktatur nicht dem innenpolitischen Druck in den USA nachgibt und in einer Art „Somaliareflex“ die US-Soldaten aus dem Blauhelmkontingent abzieht. Darüber hinaus kann man nur hoffen und beten, daß sich in diesem Land, das wie kaum ein anderes von einer kleinen Elite ausgeblutet worden ist, ein Wunder an das nächste reiht. In Haiti besteht ein Wunder schon darin, daß im ehemaligen Gefängnis und Folterzentrum in Port- au-Prince jetzt Obdachlose eine Bleibe gefunden haben. Andrea Böhm, Haiti
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