piwik no script img

„Jeder denkt, ich sei ein Hetero“

■ Schwul-Lesbisches Jugendtreffen: Mehr Beachtung von Homosexualität im Unterricht gefordert

„Schwule sind dauergeil. Sie reden zwar immer über die ultimative Beziehung, schauen dann aber doch auf jeden Hintern.“ Am Anfang stehen Vorurteile. 45 Jugendliche haben sich zusammengesetzt und reden über Schwierigkeiten zwischen Schwulen und Lesben. Die Schwulen haben dabei nicht weniger Vorurteile: „Lesben grenzen sich von Männern ab. Beim Sex dominiert der Kopf und nicht der Körper.“

Das Verhältnis der Geschlechter ist auch unter Homosexuellen nicht ungetrübt. Aber damit wollen sich viele TeilnehmerInnen des „2. Europäischen Schwul-Lesbischen Jugendtreffens“ nicht abfinden. Und so haben sie sich in einem Work-shop zusammengetan, um sich näherzukommen. Dabei ist die Abgrenzung in Deutschland besonders stark: Anders als im Ausland gibt es zwischen den Bewegungen nur wenig Berührungspunkte.

Etwa 250 Jugendliche aus 15 Staaten haben sich in Hamburg versammelt. Dabei sind die Ausländer allerdings in der Minderheit, müssen sich die englische Übersetzung der Veranstaltungen mitunter erstreiten. Bis Sonntag treffen sie sich im Zelt im Schanzenpark und anderen Veranstaltungsorten, um über das zu reden, was sie bewegt. Besonders für die jungen Schwulen, deren Bewegung vom Jugendkult geprägt ist, ist es reizvoll, unter sich zu sein. Tatsächlich haben gleich mehrere versucht, sich an der Altersgrenze von 25 Jahren vorbeizumogeln. Drei Teilnehmer, die sich auf dem Anmeldebogen allzusehr verjüngt hatten, mußten sogar ihre Karten zurückgeben.

Sebastian aus Weimar hat schon vor zwei Jahren mit seinen Eltern über seine Gefühle zu anderen Jungen gesprochen. „Mach dir keine Sorgen, das geht vorbei“, sagte sein Vater. Dessen Hoffnung wird sich kaum erfüllen. Der 17jährige ist sich seiner Sache sicher und will daran auch nichts ändern.

Die zum Treffen versammelten Jugendlichen sind selbstbewußt, der jüngste Teilnehmer weiß schon mit 15 sicher, daß er schwul ist. Fast alle sind zu Hause in der Homosexuellen-Bewegung aktiv. „Viele meiner Freunde versuchen, ihre Homosexualität nach außen zu verbergen“, erzählt Frédéric aus Nancy. „Die sind natürlich nicht nach Hamburg gefahren.“ Er selbst streitet für seine fast 100 Personen starke schwul-lesbische Gruppe, der von der Stadtverwaltung das Leben schwer gemacht wird.

Sein Coming out zu Hause war am Anfang schwierig. „Meine Mutter und ich haben uns angeschrien“, erzählt der 23jährige Architektur-Student. Dann ist er mit ihr zum Arzt gegangen, und der habe ihr erklärt, daß Homosexualität keine Krankheit ist. „Wenn ich irgendwann einmal einen Freund mit nach Hause bringe, wird sie sich aber wohl auch daran erst gewöhnen müssen.“

Martha (19) aus Leeds hat es da leichter gehabt, als sie sich vor neun Monaten ihren Eltern erklärte. Sie kann ihre Freundinnen jederzeit mit nach Hause bringen. Auch zu ihren heterosexuellen Freunden hat sich die Beziehung verbessert. „Seit ich offen über meine Gefühle reden kann, haben sich eine Menge Barrieren abgebaut.“ Das Jugendtreffen stärkt ihr lesbisches Selbstbewußtsein, und das ist Martha auch wichtig: „Es ist alles für mich noch recht neu. Aber irgendwann will ich mich am politischen Kampf beteiligen.“

Pascal (21) aus der Nähe von Gent (Belgien) ist schon eine Stufe weiter. Mit seiner Jugendgruppe hilft er inzwischen anderen beim Coming out. „Jeder denkt, ich sei ein Hetero“, beklagt er kämpferisch auf seinem T-Shirt. Da er schon sehr früh wußte, daß er schwul ist, hat er das auch in der Schule angesprochen. Nur wenige Lehrer haben darauf reagiert.

Homosexualität als Unterrichtsthema ist europaweit so gut wie nie zu finden. Dabei stellt sich die Frage der sexuellen Selbstfindung gerade in der Pubertät besonders dringend. Auch die in Hamburg gültigen Richtlinien für die Sexualerziehung in den Schulen von 1981 reihen Homosexualität in die Themenfolge „Empfängnisverhütung, Promiskuität, Prostitution“ ein, wie Schulsenatorin Rosemarie Raab, Schirmherrin des Jugendtreffens, in ihrer Begrüßungsansprache beklagte. „Die gegenwärtige Überarbeitung der Richtlinien hat mit Recht eine Neubestimmung des Verständnisses von Homosexualität zum Ziel“, sagte Raab. Die Behandlung von Homosexualität im Schulunterricht ist auch zentrale Forderung der TeilnehmerInnen des Jugendtreffens.

Zumindest für sie dürfte aber nach dieser Woche kaum noch etwas Neues dabei herauskommen. Die meisten werden gut informiert und selbstbewußter die Heimreise antreten. Pascal aus Basel resümiert: „Die vielen jungen Schwulen auf einem Haufen haben mein Gefühl verstärkt, nicht allein zu sein.“

Werner Hinzpeter

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen