Jazzkolumne: Postume Projektion
■ Auf dem Gipfel seiner Macht rechnet Wynton Marsalis mit Miles Davis ab
Vor fünf Jahren lag Wynton Marsalis noch heftig im Streit mit Kritikern, die ihm Kleingeist, Machtgeilheit und schwarzen Rassismus vorwarfen. 1997, drei Jahre später, erhielt der von Time Magazine bereits zu den einflussreichsten Persönlichkeiten Amerikas gezählte Musiker als erster Jazzkomponist den renommierten Pulitzer-Preis. Als künstlerischer Leiter von Jazz At Lincoln Center in New York, der hoch budgetierten und mittlerweile aktivsten amerikanischen Jazzinstitution, hat er in den letzten Jahren zahlreiche Auftragskompositionen gefertigt und aufgenommen. Diese werden zur Zeit unter dem programmatischen Titel „Swinging Into The 21st“ als groß angelegte 8-CD-Serie veröffentlicht. Vier CDs sind bereits erschienen, drei weitere plus Bonus-CD sollen bis zum Jahresende folgen.
Jazz ist für Marsalis die klassische amerikanische Musik dieses Jahrhunderts, und das Swingfeeling ist der Spirit, der die sehr unterschiedlichen Kompositionen für Streichquartett bis Bigband eint. „A Fiddler's Tale“, das Highlight der aktuellen Marsalis-Werkschau, ist eine textstarke Adaption von Strawinskys „L'Histoire du soldat“. Der Wynton-Berater und Chefideologe der neokonservativen Jazzer, Stanley Crouch, schrieb das Libretto, das sich wie die musikalische Form eng an das Original von Ramuz anlehnt. Handlung und Schauplatz sind aktualisiert, statt Soldat und Teufel streiten nun Musikerin und Manager um Seele und Verstand.
„Pure Business Baby“, sagt Bubba Z. Beals, der hier als musik- und librettogewordener Teufel in Gestalt eines Musikmanagers auftritt, und auf die zunächst noch unschuldige – und in ihrer Naivität leicht dümmlich wirkende – Geigerin Beatrice Connors trifft. Sie kann zwar unglaublich gut spielen und andere Musiker inspirieren, versteht nur nichts vom Geschäft. Deshalb hat sie keine Bühne und kaum Publikum. Alles was ihr scheinbar noch zum Glück fehlt, ist Popularität, sie will Platten aufnehmen und Geld machen. Kein Problem für B.Z.B. Er ändert kurzerhand ihren Namen in „The Beacon with the Bow“ und verpasst ihr einen ebenso blöden wie wirksamen Werbeslogan, der aus einem drittklassigen Rap stammen könnte: „B.Z.B. presents B.W.B. Badness with Beauty: The Beacon with a bow.“ Dass das kein gutes Ende nimmt, liegt auf der Hand. Als Beatrice bald merkt, dass sie ihr Können und ihren Spirit verliert, sie also nicht mehr das spielen kann, für das sie einst sich berufen fühlte, will sie zurückkehren. Zurück zu den Basics, zum Soul, zur Leadership, allein das schafft sie nicht mehr: The Thrill Is Gone. Und spätestens hier wird klar, dass Crouch der einzig Richtige war, diesen Libretto-Job zu machen.
Es gibt kaum einen schwarzen Publizisten, der Rap so hasst wie Crouch, und der Pop für den Ausverkauf der Seele hält. Pop als die große Versuchung, Pop als Sucht und Verfall. Das große Thema der neokonservativen Hardliner am Ende des ersten Jazzjahrhunderts, die Message des Wynton Marsalis an den Jazznachwuchs seit zwanzig Jahren: Lasst euch nicht mit dem Teufel ein. Seid enthaltsam!Bleibt clean.
Und dieses Spiel mit dem Teufel hat ein einst realexistierendes Pendant im sukzessiven Abstieg und Abgang des einflussreichsten und streitbarsten Jazzmusikers aller Zeiten, Miles Davis. Er lebt zwar nicht mehr, und sein Name wird auch nicht offen ausgesprochen, das hier von Crouch projezierte Bild kann jedoch kaum deutlicher sein. Marsalis und ihm ist Miles Davis' Einfluss und Ansehen seit langem schon ein Dorn im Auge.
Als Davis Ende der Sechzigerjahre – aus Sicht der heutigen Neotraditionalisten bereits buchstäblich vom Teufel besessen – ins Popbusiness abdriftete und sich „diese 7-Tage-Kackhosen anzog und den Motherfucker mimte“, betrieb er laut Wynton Marsalis bestenfalls noch das Geschäft der Komödianten und nicht mehr das eines seriösen Künstlers. Für die neokonservativen Jazzfundamentalisten ist Miles Davis seit „Bitches Brew“ der Prototyp des Verräters an der Tradition, der den Abstieg des Jazz ins jugendkulturelle Schmuddelbusiness symbolisiert. Miles wollte Zugang zu den Leuten, „die wirklich Platten kaufen: Und das sind die Jungen.“ Und er fand ihn auch.
In Interviews erzählte er weiterhin, dass Amerika ein rassistisches Land sei, dass James Brown, Bootsy Collins, Sly Stone und Jimi Hendrix hip sind und Elvis Presley „nur die Kopie des Schwarzen“, und von dem Zwang, dass schwarze Künstler ständig etwas Neues erfinden müssten, weil schwarze Haltung, Gesang und Musik von den Weißen kopiert und entschärft würden. Im Gegensatz dazu weist Marsalis jeden Zwang, revolutionär und marktkonform sein zu müssen, weit von sich. Er lehnt die Selbstghettoisierung afroamerikanischen Künstler entschieden ab.
Die Liner Notes zu „A Fiddler's Tale“ stammen von dem Wiener Fagottisten Milan Turkovic, der als Mitglied der kammermusikalischen Vereinigung am Lincoln Center auch bei zwei CD-Aufnahmen der aktuellen Marsalis-Serie mitspielt. Er besingt den Kontakt eines klassisch ausgebildeten Musikers mit dem Blues und den Improvisations-Codes des Jazz, und er fragt durchaus ernst gemeint, warum nicht auch klassische Musiker sich nach einem gelungenen Solo gegenseitig Zustimmung zunicken dürfen und ob die Benimmregel noch zeitgemäß sei, die es klassischen Musiker verbietet, ein Glas Wasser mit auf die Bühne zu nehmen. Die Gräben, die sich ob solch freizügiger Gedanken offenbaren, repräsentieren nach wie vor den Stand des Jazz im Hochkulturkanon: ein Treppenwitz. Noch. Denn „A Fiddler's Tale“ ist eines der großen abschließenden Werke des ersten Jazzjahrhunderts, das gerade diese Integrationskraft des Genres dokumentiert. Leise und völlig unabstrakt, werkorientiert und ohne Wettbewerbsdruck eröffnet Marsalis damit – auf dem Gipfel der Macht und am rechten Ort – dem Jazz ein völlig neues Blatt. Potenzielle Kontrahenten sind bereits vor.
Christian Broecking
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