Jazz-Ikone Curtis Fuller über Musik: "Ich habe keine Zeit zu verschwenden"
Der afroamerikanische Jazzposaunist Curtis Fuller hat mit allen Größen seiner Zunft zusammengespielt, mit Dizzy Gillespie, Count Basie oder Miles Davis. Am Dienstag wird er 75 Jahre alt.
taz: Mr Fuller, was werden Sie an Ihrem Geburtstag tun?
Curtis Fuller: Ich hoffe, ich komme aus dem Bett. Dann mache ich ein bisschen Yoga, esse einen Toast und trinke Tee oder entkoffeinierten Kaffee. Solange ich das jeden Tag tun kann, geht es mir gut. Ich habe keine Zeit mehr zu verschwenden in meinem Alter.
Was ist Ihnen lieber, die Live-Improvisation oder die Aufnahme im Studio?
Ich bevorzuge Live-Aufnahmen. Im Studio finde ich erst nach fünf, sechs Takes heraus, dass mein Auto kein Benzin mehr hat. Dann fange ich an, mich zu wiederholen. Auf der Bühne ist jeder Abend anders. Ich wünschte, jedes Konzert mit den Messengers wäre aufgenommen worden. Wir swingten so heftig, das war schon fast unheimlich. Art Blakey hatte seine eigene Auffassung von Spaß und meine Soli reflektierten dies.
Welche musikalische Botschaft wollte Art Blakey mit den Messengers vermitteln?
Die Version der Messengers, der ich angehörte, war eine der besseren. Ich bin froh, dass ich von 1961 bis 1965 Bandmitglied gewesen bin. Wenn ich an die unterschiedlichen Musikerpersönlichkeiten in der Band denke - wir hatten die Frechheit von Freddie Hubbard, das Salzige von Wayne Shorter, die Seele von Cedar Walton. Und der Drummer und Bandleader Art Blakey steuerte dieses ganze Schiff, da musste ich meinen Platz erst finden. Ich versuchte, Stücke zu schreiben wie "Buhainas Delight", die sein Spiel herausstellen würden. Er spielte es jeden Abend. Ich brachte ihn zu seinem Groove. Als unser Land während der Civil-Rights-Bewegung in der Krise steckte, nahm er die Band und sie erzählten mit "Moanin'" die Geschichte dieser Krise. Das war in einer Zeit, in der die Leute Farbe an die Wand schmissen und sagten "Wow". Nein, Blödsinn, mich kannst du nicht glauben machen, das sei ein Rembrandt.
Jugend: Fuller, geboren am 15. Dezember 1934 in Detroit, verlor seine Eltern früh und wuchs im Waisenhaus auf. Mit 15 hörte er den Posaunisten J. J. Johnson, mit 16 griff er selbst zum Instrument.
Karriere: In New York spielte er allein 1957 als Sideman bei Aufnahmen von Yusef Lateef, Bud Powell, John Coltrane mit.
Konzerte: Aufgetreten ist er mit Wayne Shorter, Freddie Hubbard und seinem Kollegen Kai Winding.
Stil: Seinen schelmisch anmutenden Melodien und Tempi gibt Fuller eine Klarheit, die Schwermut und Rastlosigkeit kennt.
Diskografie: Fuller hat zahlreiche Soloalben veröffentlicht. Zum Einstieg empfohlen: Curtis Fuller, "The Opener" (Blue Note/EMI); Curtis Fuller Quintet with Sonny Red: "Complete Prestige & Savoy Sessions" (Fresh Sound Records); John Coltrane, "Blue Train" (Blue Note/EMI); Freddie Hubbard, "The Artistry of Freddie Hubbard" (Verve/Universal). Sein neuestes Album: Curtis Fuller, "Keep it Simple" (Savant/Zyx)
Wie wichtig finden Sie das Repertoire für einen Musiker?
Ein Programm zu haben ist sehr wichtig. Ich mochte sehr, wie Dizzy Gillespie oder Count Basie ihre Setlisten aufbauten. Ich beobachtete bei ihnen, welcher Song welchem folgte und welches Tempo dem vorherigen. Ich glaube, es ist wichtig, das eigene Genre und die eigene Generation auch einmal zu verlassen. Manchmal schauen wir nicht weit genug über unseren Horizont. Von John Coltrane würde man nicht unbedingt denken, dass er in seiner Karriere auch stille und schwierige Zeiten hatte. Er war sehr niedergeschlagen, als bei einem Bombenattentat des Ku-Klux-Klans 1963 in Birmingham, Alabama, vier kleine schwarze Mädchen starben. Er kannte sie nicht, aber mit dem Song "Alabama" hat er uns die Trauer spüren lassen. Darum geht es doch in der Musik, Menschen glauben und fühlen zu lassen, was man tut.
Sie spielten mit Coltrane auf seinem legendären Album "Blue Train". Wie war die Atmosphäre bei den Aufnahmen?
Einerseits war es eine ganz normale Arbeitsatmosphäre, andererseits aber auch mehr als das. Am Tag der Session, den 19. September 1957, verließen wir Rudy Van Gelders Studio, diesen heiligen Ort, denn so hat er sich angefühlt, und niemand dachte auch nur daran, diese Musik je wieder zu spielen. Trane hat sie nur ein einziges Mal live mit seinem Quintett und Eric Dolphy wieder aufgenommen. Aus "Blue Train" war ein Geisterzug geworden, der den Bahnhof ohne Passagiere verlässt.
Ich spreche hier nur für mich persönlich. Wenn ich in den Song, den ich schon tausend Mal gespielt habe, nicht hineinfinde, verliere ich etwas. Bis heute versuche ich, etwas hineinzugeben in die Musik. Eine Empfänglichkeit dafür zu entwickeln, wie ich gemeinsam mit den Leuten auf der Bühne einen Weg einschlage, um dieses kleine Etwas zu finden. Machmal ist ein Kuss nur ein Kuss und manchmal eben mehr. Das hängt davon ab, wie ich mich auf ihn einlasse.
Warum hat die Popularität von Jazz in den letzten Jahrzenten so stark abgenommen?
Jazz ist heute nicht mehr in seiner eigenen Form präsent, wer weiß, warum. Auf Jazzfestivals wird alles andere als Jazz gespielt. Das verunsichert viele Menschen, die dort Jazzmusiker erwarten. Und dann sehen sie sich um und anstatt die Menschen zu bezahlen, die diese Musik kreiert haben, finden sie es billiger, sich Hochschulbands aus den USA zu holen. Wenn man jungen Studenten, die alle gleich klingen, beim Spielen zuhört, ist das noch lange keine Repräsentation von Jazz.
Wie sollten jungen Musiker denn stattdessen heute an Jazz herangehen?
Ich versuche zuzuhören und das erwarte ich auch von den Menschen in meiner Band. Die jüngeren Mitglieder zählen auch dann auf mich, wenn ich die schlechtesten Soli spiele. Aber sie wurden schon zu ihrem eigenen Ding gebracht. Zu lernen, alles aufzunehmen und herauszufinden, wo dein Schwerpunkt ist, das findet jeder irgendwann. Ich habe lange dafür gebraucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben