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Jasmin RamadanEinfach gesagtGoldstaub und Würste

Foto: Roberta Sant‘anna

Ey Mama, wen wählst du denn eigentlich?!“, fragt die Jugendliche im Supermarkt.

„Pssst, Ariadne!“, macht die Mutter und hält sich den Finger vor die Maske, „darüber spricht man nicht!“

„Nicht hier oder gar nicht?“

„Nicht in der Öffentlichkeit!“

„Sagst du es mir zu Hause?“

„Nee, das geht nur mich was an.“

„Wer sagt das?“

„Schon Oma und Opa haben einander nie gesagt, wen sie wählen.“

„Hä? Das ist ja voll cringe!“

„Wen man wählt, ist ein Tabu, da können sonst Ehen dran zerbrechen, das sag ich dir, Ariadne.“

„Ich heirate sowieso nie!“

„Kluges Mädchen“, sagt der ältere Herr und nimmt eine Packung Salami aus dem Regal, „aber mit dem Wählen hat deine Mama Recht, das ist ’ne gewaltige Angelegenheit, wo man politisch steht, ist ja nicht, als würde man sich bloß für ’ne Wurst entscheiden!“

„Naja“, sagt das Mädchen, „welche Wurst ich kaufe, ist trotzdem politisch relevant, was haben sie denn da?!“

Der Mann hält die Packung hinter den Rücken und ruft:

„Das ist meine Sache, du freche Deern!“ Ariadne sagt: „Nee, ist es eben nicht, das Zeug ist in Plastik eingeschweißt und null Bio, damit machen sie Politik!“

„Ariadne, jetzt schrei hier nicht arme alte weiße Männer an!“

Ein junger Typ mit einer Packung Erbsenmilch in der Hand mischt sich ein:

„Ich hab das mit der Wahl-Geheimniskrämerei auch nie verstanden, ist ja nicht so, dass die Tatsache, wen ich wähle, so ’ne Art ansteckende Krankheit ist, wie wenn beim Arzt die Schweigepflicht greift.“

Der ältere Herr sagt: „Meine Wahl für mich zu behalten, ist ja nun was anderes als ein Schweigegelübde!“

Die Mutter sagt: „Bloß ein wohl gehütetes Geheimnis.“

Der Mann sagt: „Und es gibt ohnehin zu wenig Geheimnisse heutzutage, alle posaunen über dreckige Kanäle alles raus, was ihnen im Kopf rumballert!“

„Da geb’ich Ihnen Recht“, sagt der junge Typ, „ist ziemlich gruselig, aber wenn ich mich bei einer hochoffiziellen Wahl sichtbar zu meiner politischen Position bekenne, denke ich vorher vielleicht gründlicher drüber nach.“

„Du würdest wohl gern Kameras in der Wahlkabine aufstellen, Jungelchen!“, ruft der alte Mann.

„Die Kabine wär’dann ja nicht mehr nötig“, sagt Ariadne.

Der Mann ruft: „Ja, ja, ihr neunmalschlauen Jungspunde, dann machen wir unser Kreuz doch gleich alle am Rathausmarkt auf einer großen Tafel und übertragen es ins Internet!“

„Na, warum nicht“, sagt Ariadne, „was hätten Sie zu verlieren?“

„Nix, ich geh nämlich nicht wählen, da ist ja einer peinlicher als die andere, alles Mangelware, ich hätt’ den Kühnert gewählt, das ist der einzig integre Politiker, den meine alte Partei vorrätig gehabt hätte!“

„Sie waren also mal in der SPD?“, fragt der Typ.

„Das geht Sie gar nichts an!“

„Sie haben es doch gerade ausgeplaudert!“, sagt die Mutter.

„Warum sind sie ausgetreten?“, fragt Ariadne.

„Das kann man sich doch wohl denken!“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

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