Japan will Reaktoren wieder hochfahren: Das harte Ringen um Tepcos Zukunft

Eine Regierungskommission plädiert für eine Wiederinbetriebnahme unbeschädigter Tepco-Reaktoren. Alles andere könnte die Japaner bis zu 86 Milliarden Euro kosten.

Tepco-Chef Toshio Nishizawa hat viel zu erklären - auch Journalisten. Bild: reuters

TOKYO taz | Wird Japans angeschlagener Atomkonzern Tokyo Electric Power Company (Tepco) seine abgeschalteten Atomkraftwerke nicht wieder hochfahren können, Strompreise nicht erhöhen und keine günstigeren Bedingungen seiner Gläubiger bekommen, wird dies den japanischen Staat bis zu 8,6 Billionen Yen (rund 86 Milliarden Euro) kosten.

Zu diesem Ergebnis kommt eine von Japans Regierung eingesetzte fünfköpfige Expertenkommission in ihrem am Montag vorgelegten Bericht.

Von Tepcos 17 Atomreaktoren sind zur Zeit nur zwei im Betrieb. Vier Reaktoren des AKWs Fukushima-Daiichi wurden beim Gau am 11. März zerstört. Auch zwei weitere Reaktoren dort werden wohl nicht wieder ans Netz gehen.

Doch unklar ist, was mit den vier Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima Daiini geschieht, das ebenfalls am 11. März beschädigt wurde. Und offen ist, ob und wann die fünf inzwischen für Überprüfungen abgeschalteten Reaktoren von Tepcos nordwestlichem AKW Kashiwasaki-Kariwa wieder ans Netz können.

Milliarden an Entschädigung

In Japan müssen Reaktoren alle 13 Monate routinemäßig abgeschaltet und überprüft werden. Tepcos letzte Reaktoren gehen demnach im April 2012 vom Netz. Über das Wiederhochfahren entscheidet der Gouverneur der zuständigen Präfektur.

Die Kommission, die Tepcos Finanzbedarf bis 2021 untersuchte, sieht auf Tepco in den nächsten zwei Jahren Entschädigungszahlungen an die betroffene Bevölkerung und Wirtschaft von 4,54 Billionen Yen (45,4 Milliarden Euro) zukommen.

Weitere 1,1 Billionen Yen (11 Milliarden Euro) werden für die endgültige Stilllegung des Katastrophen-AKW Fukushima-Daiichi veranschlagt. Pläne von Tepco, seine Strompreise um 15 Prozent zu erhöhen, scheiterten gerade erst am Widerstand der unter dem Druck der Bevölkerung stehenden Regierung in Tokio. Diese muss Erhöhungen genehmigen.

Die Kommission fordert von Tepco noch stärkeres Sparen. Statt der vorgesehenen Einsparungen von 1,2 Billionen Yen (12 Milliarden Euro) müsse der Konzern in den nächsten zehn Jahren 2,55 Billionen Yen (25,5 Milliarden Euro) sparen. Die Kommission schlägt vor, dafür 7.400 Mitarbeiter zu entlassen, rund 14 Prozent der Belegschaft. Tepco will bereits die Betriebsrenten kürzen und Vermögenswerte von 707,4 Milliarden Yen (7,07 Milliarden Euro) veräußern.

Regierung kämpft gegen Tepco-Pleite

Schon im letzten Finanzjahr, das am 31. März 2011 endete, hatte der Konzern bei einem Verlust von umgerechnet 11,3 Milliarden Euro Rückstellungen für die Katastrophe von 885 Milliarden Yen (8,85 Milliarden Euro) gebildet. Im April hatte Tepco Überbrückungskredite seiner Gläubigerbanken von umgerechnet rund 17 Milliarden Euro erhalten.

Die Regierung erklärte, Tepco solle nicht pleite gehen, und sie werde notfalls einspringen. Tepcos-Präsident Toshio Nishizawa sagte in einer ersten Reaktion, der Bericht der Kommission enthalte "recht harte Argumente", doch diese würden aufrichtig geprüft.

Ein Tepco-Sprecher, der nur über die Lage in Fukushima Daiichi sprechen wollte, sagte vor Bekanntgabe des Kommissionsberichts der taz, die Arbeiten würden im Zeitplan liegen oder sogar schneller sein. "Zur Zeit arbeiten dort 3.500 Beschäftigte," so Yoshimi Hitosugi.

Kernschmelze noch immer möglich

"Davon gehören 700 bis 800 zu Tepco." Über die Arbeits- und Vertragsbedingungen der Arbeiter und Tagelöhner der Zulieferfirmen könne er nichts sagen. Laut Hitosugi konnten die Reaktoren eins bis drei inzwischen unter die kritische Marke von 100 Grad gekühlt werden. Damit könne die so genannte Kalt-Abschaltung bis Jahresende erreicht werden.

Auch sei inzwischen ein Kreislauf in Betrieb, um radioaktives Kühlwasser wieder verwerten zu können. Kurz nach Hitosugis Aussage musste Tepco allerdings einräumen, dass bei einem Ausbleiben der Kühlung etwa durch Stromausfall es innerhalb von 38 Stunden wieder zur Kernschmelze kommen könne.

Hitosugi ging auch auf die Kritik an Tepcos Entschädigungsverfahren ein. Antragsteller hatten sich beschwert, dass sie ein 60-seitiges Formular ausfüllen müssen, zu dem es eine 100seitige Anleitung gibt. "Wir haben versucht, Missverständnisse zu vermeiden," erklärt er. "Aber wir werden jetzt das Formular vereinfachen."

Tetsunari Iida vom Tokioter Institut für nachhaltige Energiepolitik (Isep) sagte der taz zur Zukunft von Tepco: "Für die Kosten der Katastrophe muss Tepco zunächst sein Vermögen einsetzen. Und dann sollten Aktionäre und Gläubiger zahlen, bevor Kunden oder Steuerzahler belangt werden."

Iida sprach sich gegen Energiemonopole aus und befürwortet deshalb einen Bankrott von Tepco. "Tepco wegen der Entschädigungen künstlich am Leben zu erhalten, erschwert die notwendige Reform des Energiemarktes." Iida ist einer von acht Atomkritikern in einer neuen 25-köpfigen Kommission des Wirtschaftsministeriums, die bis Sommer 2012 eine neue Energiepolitik formulieren soll.

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