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„Japan muß eins übergezogen bekommen“

Japanischer Protektionismus für US-Defizite verantwortlich / Weitere Dollarabwertung kein Erfolg / Bekenntnisse eines Freihändlers: Ein Interview mit Rüdiger Dornbusch  ■ I N T E R V I E W

Das US-amerikanische Defizit im Außenhandel mit Japan bewegte sich auch im Jahr 1989 auf hohem Niveau. Mit 45 Milliarden US-Dollar lag es nur 2,5 Milliarden Dollar unter dem Abschluß des Vorjahres. Stärker verringert hat sich der japanische Überschuß im Handel mit der Europäischen Gemeinschaft. Im Unterschied zu den Ländern der EG ist es den USA nicht gelungen, ihre Exporte nach Japan in bedeutendem Maße auszuweiten. Auch die von der US-Politik eingesetzte Waffe des Wechselkures hat den weiteren Rückfall der USA in der Weltmarktrangliste bislang nicht zu verhindern gewußt: Trotz einer im Jahresverlauf drastischen Abwertung des US-Dollars gegenüber dem japanischen Yen, die die US-Exporte verbilligt und die japanischen Exporte verteuert hat, blieb das chronische Handelsbilanzdefizit erhalten. Christoph Scherrer ist diesem Problem in einem Gespräch mit dem US-amerikanischen Ökonomen Rüdiger Dornbusch anläßlich eines Vortrages am J.-F.-Kennedy -Institut der Freien Universität Berlin nachgegangen. Dornbusch lebt seit 1967 in den USA und ist Professor für Volkswirtschaftslehre am prestigeträchtigen Massachusetts Institute for Technology. Er gilt als einer der erfolgreichsten Lehrbuchautoren der Makroökonomie und zählt zu den jungen aufstrebenden Ökonomen der USA, die die zu Zeiten von Präsident Reagan modisch gewordene Wende zur angebotstheoretischen Theorie nicht mitgemacht haben und dennoch an einer strikten Position des internationalen Freihandels festhalten wollen.

taz: Das Handelsdefizit der USA gegenüber Japan scheint trotz aller Bemühungen der US-Regierung nicht verschwinden zu wollen. Ist der Freihandel noch zu retten.

Rüdiger Dornbusch: Das Defizit hat zwei Ursachen. Zum einen ist es das Resultat der hohen Sparquote in Japan und der niedrigen in den USA. Aus dieser Sicht ist es ein reines Problem der USA. Zum anderen besteht das Handelsbilanzdefizit deshalb, weil die Japaner ihre Märkte geschlossen halten.

Gibt es nicht auch strukturelle Gründe? Verschwenden die USA beispielsweise nicht immer noch viel zu viel Energie und produzieren die falschen Autos?

Es ist sicherlich richtig, daß bei höheren Energiepreisen wir weniger Importe tätigen würden. Wir würden aber auch mehr japanische Autos kaufen, denn bei höheren Energiepreisen sind US-Autos vollkommen veraltet und technisch überholt.

Aber besteht darin nicht gerade das Problem? Warum sollten die Japaner minderwertige US-Waren kaufen, wenn sie im eigenen Land billiger und besser produzieren?

Selbstverständlich. Es ist unvorstellbar, daß die USA Autos nach Japan exportieren könnten. Deshalb möchte ich mehr japanische Direktinvestitionen in den USA sehen, die den Arbeitern das Produzieren beibringen und dem Management das Marketing. Aber die Japaner haben es immer verstanden, ihre Industrie so lange zu schützen, bis sie internationalen Standard erreicht. Erst dann liberalisieren sie den Zugang.

Würde die Exportkraft Japans nicht noch mehr gestärkt werden, wenn Japan seine Importe erhöht, also zugleich die Kosten der Vorleistungen für die Exportgüter senkt?

Ja, so wird es kommen, und das ist gut so. Sie werden mich nicht dazu bringen, über das Defizit besorgt zu sein. Ich will mehr japanische Importe, ich will billige Güter, „the more, the better“. Es kann aber nicht hingenommen werden, daß amerikanische und europäische Firmen nicht in Japan verkaufen können. Für Japan ist der gesamte Handel eine Einbahnstraße. Und nicht zuletzt deshalb ist das Preisniveau in Japan das höchste der Welt. Selbst japanische Produkte sind in den USA billiger als in Japan.

Wird nicht eine Politik, die auf noch mehr Importe setzt, eine Gegenreaktion in den USA auslösen, die den gesamten Freihandel in Frage stellt?

Dem stimme ich nicht zu. Was ist bisher geschehen? Die USA flirtete in den letzten Jahren mit Protektionismus, doch durch das neue export-orientierte Handelsgesetz von 1988 konnte diese protektionistische Stimmung aufgefangen werden. Doch dann sah man, daß die japanischen Märkte gar nicht offen sind. Wenn die Exporte nach Japan zunehmen, dann beschwert sich niemand mehr über das Defizit. Wir Amerikaner sind nicht über das Defizit beunruhigt. Wir haben zur Zeit Vollbeschäftigung. Es ist allerdings ein Problem für den Kongreß, denn im Falle einer Rezession würden die Politiker sofort dafür verantwortlich gemacht werden, daß sie die Importe nicht stärker beschränkt haben.

Ist es in der nächsten Rezession nicht zu spät, um die Öffentlichkeit von drastischen protektionistischen Maßnahmen abzuhalten?

Sicherlich. Deswegen sollten wir sehr aggressiv mit Japan umgehen. Leider verweigern die Japaner derzeit den Dialog. Sie reden nur über das US-Budgetdefizit und faseln dann etwas über Qualität und Marketing. Ich denke, Japan muß eins übergezogen bekommen.

Haben Sie nicht aber selbst vor Jahren in einem Aufsatz die Bedeutung von Marktbeschränkungen in Japan heruntergespielt?

Ja, das war aber mein Kollege, mit dem ich zusammen den Aufsatz geschrieben hatte. Das ist lang her. Heute kann ich sehr viele Statistiken zitieren, die deutlich beweisen, daß der japanische Markt für ausländische Produzenten geschlossen ist.

Haben die USA nicht selbst zur ihrer Wettbewerbsschwäche beigetragen?

Sicher. Die USA haben nur einen sehr kurzen Zeithorizont. Wir haben zwar noch Wachstum, aber das Pro-Kopf-Einkommen wächst längst nicht mehr. Außerdem beruht das Wachstum auf Schulden und ungelernten Arbeitskräften. 1985 waren Thatcher und Reagan noch die Idole der Welt, heute steht ihre Politik vor dem Bankrott. Europa hat sich in den Vordergrund gedrängt. Dank eines längeren Zeithorizontes und mehr Staatsintervention kann heute Europa einen höheren Lebensstandard vorweisen.

Hätte Reagan eine aktive Industrie- und Strukturpolitik betreiben sollen?

Ja, wir sollten eine Industriepolitik betreiben. Ich möchte zwar keinen bundesstaatlichen Buchhalter, der die Wirtschaft leitet, aber wir befinden uns viel zu weit im anderen Extrem. Wir haben nur Wall Street, die Firmenübernahmen organisiert. Wir müssen den Horizont der Unternehmer verlängern, etwa durch eine Besteuerung finanzieller Transaktionen.

Mithin Industriepolitik als Rettung des Freihandels?

Man macht sich in den USA zu wenig Gedanken über den Platz der USA in der Weltwirtschaft der nächsten 15 Jahre. Die Regierung sollte sich überlegen, in welchen Sektoren die USA wettbewerbsfähig sein könnten, und diese dann fördern. Ich sage dies mit etwas Zurückhaltung, denn es können natürlich auch fürchterliche Fehler gemacht werden, aber wir hatten zu wenige Diskussionen über das, was in den USA gemacht werden soll.

Können diese Handelsschranken nicht durch einen niedrigeren Dollarkurs überwunden werden?

Wechselkurspolitik hilft wenig, wenn Importe unabhängig von ihrem Preis aus dem Markt gehalten werden. Nein, im Wechselkurs sehe ich keine Hilfe, vielmehr sollten die OECD -Länder gemeinsam Druck auf Japan ausüben, damit die Japaner ihre Importe Jahr für Jahr erhöhen. Denn der geschlossene Markt betrifft nicht nur die Amerikaner. Wenn das klar ist, dann wird sich Japan auch bewegen. Es hat sich ja bisher auch in alle anderen Richtungen bewegt.

Ist es aber realistisch anzunehmen, daß alle OECD-Länder sich tatsächlich den USA im Kampf gegen Japan anschließen?

Es wird sehr schwer sein, denn die EG verhält sich opportunistisch. Die EG sagt zu Japan: Wenn ihr uns nicht hineinlaßt, dann lassen wir euch eben auch nicht rein. Ich glaube kaum, daß wir Partner finden werden, die öffentlich auf Japan einschlagen. Die USA, wo das politische System wettbewerbsorientierter und offener ist, wissen nicht, wie sie mit Japan umgehen sollen. Jetzt kommen gerade die Berichte heraus, daß bis auf den Präsidenten fast alle von den Japanern bezahlt werden. Sogar die Anwaltskanzlei, die die derzeitige Handelsbeauftragte der USA mitleitete, arbeitet für große japanische Klienten. Da in der amerikanischen Öffentlichkeit das Gefühl vorherrscht, die Japaner würden nichts dem Zufall überlassen, wird dies als gezielte Strategie Japans aufgefaßt, in den USA Einfluß zu kaufen. Die Amerikaner sind zwar fantastisch habsüchtig, aber wenn es heraus kommt, dann gibt es starke Gegenreaktionen. Das haben die Japaner übersehen. Und der Skandal hat erst begonnen.

Erwidern die Freihändler nicht, daß die Befürworter von Protektionismus selbst Geld kassieren und zwar von den Industrien, die sich gerne hinter Handelsbarrieren verstecken möchten?

Klar, in der Handelsdebatte wird jeder von einer interessierten Seite bezahlt. Das Problem ist, daß eine ungewöhnlich große Zahl auf einer ausländischen Gehaltsliste stand.

Wird dieser Skandal die Japaner dazu bewegen, den US -Interessen entgegenzukommen?

Das wird nicht friedlich abgehen. Die Japaner werden daheim gesagt bekommen: „Scheiß auf die Amis, wir kaufen keine US -Staatsanleihen mehr!“ Das ist sehr dumm, denn wenn sie keine Staatsanleihen mehr kaufen, dann werden sie große Probleme beim Exportieren bekommen.

Warum?

Weil mit den Erlösen aus den Staatsanleihen die Amerikaner die Importe bezahlen. Ich muß allerdings sagen, daß sich auch die USA dumm verhalten. Bei den Verhandlungen über die Marktöffnung in Japan wollen sie durchsetzen, daß die Japaner ihre Supermärkte am Sonntag öffnen. Wenn umgekehrt jemand über Ladenschlußgesetze in den USA mit den Amerikanern verhandeln wollte, würde er sofort rausgeschmissen werden.

Ist Japan nicht zu sehr auf die USA angewiesen, als daß es sich eine schroffe Ablehnung US-amerikanischer Wünsche leisten kann?

Japan zieht sich bereits etwas aus den USA zurück und investiert in Süd-Ost-Asien. Demnächst könnte es mit der Sowjetunion ins Geschäft kommen und dort den Aufbau finanzieren sowie Sibirien entwickeln. Wenn das passiert, dann verlieren die USA an Attraktivität.

Besteht mithin die Gefahr, daß die Weltwirtschaft in drei Regionen zerfallen wird? Europa, Japan im pazifischen und die USA im amerikanischen Raum?

Ja, ich sehe einen solchen Trend zu drei Zentren der Weltwirtschaft, wobei das US-Zentrum auf wackeligen Füßen steht. Unser Budgetdefizit ist nicht beseitigt, und der Dollar wird noch stark abgewertet werden. Diese drei Blöcke können so friedlich wie die Bundesrepublik und Frankreich zusammenleben, oder es kommt zu anhaltenden Konflikten. Wenn die Japaner weiter die Amerikaner belehren wollen, daß sie „pigs“ sind, dann wird es einen schwierigen Übergang geben. Wenn jedoch Japan vorwärts schaut und die USA etwas Führungsstärke zeigt, dann werden die drei Zentren völlig harmonisch koexistieren. Es gibt genügend Wachstumspotentiale, so daß wir nicht miteinander streiten müssen. Wenn es uns gelingt, die Stahlindustrien in Würde absterben zu lassen, dann bleiben uns noch genügend aufregende industrielle Betätigungsfelder übrig.

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