piwik no script img

Jan-Paul Koopmann SpeckgürtelpunksOffline am Acker

Foto: privat

Die Sache mit den Amputations- und Phantomschmerzen war am Ende dann doch nicht so schlimm. Auch wenn die Finger manchmal doch noch geistlos nach dem Ding tasten, wenn man zum Beispiel auf dem Klo sitzt, oder abends am Rechner. Aber weg ist weg – und so langsam rafft das auch der unbewusste Teil meiner Motorik. Insgesamt mildernd wirkt sich zudem aus, dass hier ja kein Körperteil verloren ging, sondern nur ein Haufen im Grunde ohnehin eher lästigen Datenmülls: Meine Social-Media-Accounts habe ich gelöscht. Alle, auch die harmlosen.

„Ach je, schon wieder einer“, darf man mit Recht sagen. Ich bin damit ja wirklich nicht allein und war schon gar nicht der Erste. Die Offline-Schickeria ist lang genug unterwegs, um inzwischen wirklich je­de:n genervt zu haben. Und zumindest in meiner Bubble scheint die aktuelle Austrittswelle sogar den großen Twitter-Exodus von 2022 zu überbieten, als Elon Musk den Laden kaufte und in ein menschenfeindliches Drecksloch transformierte. Heute ist es eben Zuckerberg, der mit dem Schlussstrich unter Faktenchecks und Diversity-Programm die Restvernunft vor die Tür setzt.

Dass mein Abgang überhaupt so lange gedauert hat, liegt ganz wesentlich am Umzug aufs Land, um den es hier an dieser Stelle in der Regel geht. Ist ja klar: Man lässt nicht nur konkrete Menschen zurück, sondern auch ein urbanes Grundrauschen aus bestimmten Haltungen und Themen, die zwischen Kneipe, Vortragsrunde, Konzert besprochen werden und im Netz eben irgendwie noch da waren – hier draußen aber nicht.

Neben globalen Angelegenheiten wie einem antifaschistischen Grundkonsens oder der Veggie-Quote über 50 Prozent gehören dazu vor allem diverse Nischendinge, die einem offline am Acker wie vom anderen Planeten vorkommen: von queeren Old-School-Dungeoncrawls über Sauerbiertastings bis zum poststrukturalismuskritischen Freud-Lesekreis ist alles erst einmal weg. Und ich finde das – von wegen Amputationswunde – ganz wirklich sehr schade.

Ein anderes Argument gegen den Ausstieg hab ich kurz vor Schluss bei einem Facebook-Exfreund gelesen. Der sieht den Massenabgang gerade als kollektiven „Rückzug in die innere Emigration“ und meint wohl, man solle diese virtuellen Räume nicht aufgeben, „jetzt, wo es auf jeden Einzelnen ankommt“. Ich glaube das nicht. Es kommt nämlich einen Scheiß auf irgendwen an in diesen virtuellen Hexenkesseln. Und dass der Algorithmus die Regeln dieses Miteinanders bestimmt, ist nicht einmal das Hauptproblem. Viel schlimmer finde ich die aufmerksamkeitsökonomische Selbstzurichtung derer, die es eigentlich besser wissen müssten: meiner friends, follower und gefollowten nämlich. Na ja, und meine eigene.

Es ist scheinbar unvermeidbar: Zwei-, dreimal schreibt man ironisch „Link im ersten comment“ irgendwo hin – und plötzlich meint man’s ernst; macht sich über die eigene Reichweite Gedanken, entwickelt Strategien, spricht in Clickbait-Rätseln und postet pointierte Spitzen an die richtigen Stellen. Konkret wird man nur in Notfällen, wenn es sich nicht vermeiden lässt oder man sich wirklich richtig sicher ist. Besser ist, vage und spöttisch eine Haltung zu suggerieren, die von jenen Leuten verstanden wird, die einem sympathisch sind und die einem vielleicht mal was zuschustern können. Vielleicht ja irgendwann sogar Aufträge im Mediendings.

Sie merken vielleicht: Es regt mich immer noch auf, was dann wohl diese Phantomschmerzen wären, von denen ich oben sprach.

Es kommt einen Scheiß an auf irgendwen in diesen virtuellen Hexenkesseln

Weg sein, ist jedenfalls gut – für mich wie für die anderen. Die Frage ist nur, wie’s jetzt weitergeht. Ich überlege fast, wieder mit dem Bloggen anzufangen oder Newsletter aufzusetzen. Um mich jetzt nämlich so richtig ins Offline-Dorfleben zu stürzen – dafür hab ich dann doch noch zu viel von der Realität mitbekommen in den letzten Jahren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen