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Jan-Paul Koopmann Popmusik und EigensinnAbhängen am Gipfel des Hypes

Es hat sich zwar herumgesprochen, klingt aber trotzdem noch völlig verrückt: Bremen ist ein Hip-Hop-Hotspot. Die Schuld trägt ganz allein das Kollektiv Erotik Toy Records, das nach sämtlichen Szenemedien inzwischen auch die Lokalpresse abgefeiert hat und wo mit viel Tamtam sogar Arte-„Tracks“ zu Besuch war. Heute sind nicht nur die Konzerte brüllend voll, sondern es kann einem auch draußen in der Regionalbahn zwischen Kirchweyhe und Barrien passieren, dass man von jungen Menschen (um die 40) wohlwollend auf die Platte unterm Arm angesprochen wird. Also ja, Erotik Toy Records sind 2019 so durch die Decke gegangen, wie es die Backspin treffsicher orakelt hatte. Dass „Alles wird nichts“ nun mitten im Hype erscheint, heißt für Ali Whales und Smog natürlich, dass sie nun auch zu liefern haben.

Oder auch nicht. Wirklich bezaubernd ist ja, wie unmissverständlich die beiden klar machen, dass sie tatsächlich rein gar nichts müssen. AWN führt in tiefster Gelassenheit den stilbildenden Genremix aus Rap und ganz was anderem weiter, mit dem das Kollektiv laut Splash „ein neues Soundzeitalter“ eingeläutet hat. Verknarzt-analoger Sound trifft auf melancholische Innerlichkeit und schaltet einem so ganz sachte das Hirn aus. Ein bisschen wütender ist’s vielleicht geworden, wenn auch völlig aggressionsbefreit: „Bevor ich mit euch chille, bin ich lieber allein“ kommt da von irgendwo ganz weit unten hochgehallt – und macht auf sonderbare Weise glücklich.

Apropos sonderbar: Obwohl der Sound so zeitgemäß frickelt, fühlt sich der Typ aus der Bahn an die 90er erinnert: an die Hochzeiten des Gymnasiast*innen-Raps aus Hamburg oder Stuttgart. Und verstehen kann man das, wenn man den hingeholzten Sprachsport ignoriert, mit dem damals so krampfig herumgereimt wurde. Was gleich ist: dass Leute einfach von sich ein bisschen erzählen, sensibel auf die Welt reagieren und dann eben auch mal die Deckung fallen lassen. Anders als früher kriegen Ali Whales und Smog das allerdings hin, ohne sich gleich wieder hinter Ironie zu verschanzen, wenn es mal ernst wird. Wahrscheinlich ist am Genremix auch gar nicht das Musikalische wichtig, sondern die Haltung. Erotik Toy Records verortet sich nicht irgendwie kritisch im Genre, sondern macht einfach alles besser.

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