Jahrestagung der Lebensmittelindustrie: Die Erbsen der Nation
Schwierigkeiten bei der Rotkohlproduktion und der Mengenangabe auf dem Gurkenglas: Lebensmittelhersteller präsentieren sich als gute Ernährer. Alles Täuschung?
Der Satz, der die Fronten klar stellt, fällt gleich zu Beginn. „Es gibt“, erklärt Konrad Linkenheil, Gurkenproduzent und Vorsitzender des Verbands der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie, „Verbraucherschützer und sogenannte Verbraucherschützer.“
Und Linkenheil lässt keinen Zweifel daran, wen er als „sogenannten Verbraucherschützer“ betrachtet, nämlich die Verbraucherverbände, und wen als richtigen Verbraucherschützer: sich selbst, die Industrie.
Man ist weitgehend unter sich bei der Jahrestagung des Industrieverbands. Marmeladenhersteller treffen auf solche von eingelegtem Sauerkraut, Produzenten von Tiefkühlgemüse sitzen neben denen von Pommes frites. Man tagt vor Aufstellern, die für verarbeitete Produkte werben, und tauscht sich aus über die Schwierigkeiten der Rotkohlproduktion und das günstige Klima der spanischen Ostküste.
Doch was wäre eine Wohlfühlveranstaltung ohne Feinbild: In diesem Fall dürfen zwei von denen, die Linkenheil als „sogenannte Verbraucherschützer“ bezeichnet auf dem Podium sitzen. Nebeneffekt: Der Applaus für die Industrie wirkt umso größer.
„Wir sind es, die tagtäglich zum Wohle der Verbraucher gesunde Lebensmittel herstellen“, sagt der Verbandsvorsitzende Linkenheil. „Wir, die Lebensmittelindustrie, sind die Ernährer der Bevölkerung und damit der gesamten Nation.“ Es klingt, als wäre eine Ernährung ohne Gurken aus dem Glas, Erbseneintopf aus der Dose und Pommes aus dem Tiefkühler nicht möglich. Die Nation würde verhungern.
Ansammlung guter Menschen
Glaubt man Linkenheil, sind die Lebensmittelproduzenten ohnehin Ansammlungen guter Menschen, die aus altruistischen Gründen tagtäglich unter der schweren Bürde der gesetzlichen Vorschriften Lebensmittel herstellen. Respekt zolle ihnen dafür niemand, stattdessen würden sie in regelmäßigen Abständen mit fiesen Kampagnen von Verbraucherverbänden überzogen, die Fakten verdrehten, und und das alles ohne sachlichen Grund, sondern einfach, um Geld zu machen.
Wo ist schließlich das Problem, wenn der Sauerkrauthersteller 20 oder 50 Gramm weniger in der Dose hat, als es die Verpackung suggeriert, fragt Linkenheil, und in dem Moment ist ihm das Unverständnis ins Gesicht geschrieben. Es gehe doch nicht darum, den Verbraucher zu täuschen. Sondern darum, dass der Produzent sich möglicherweise eine neue Maschine zugelegt hat und die Packungsgrößen vereinheitlichen will. Warum er dann nicht auch den Inhalt anpasst, das sagt Linkenheil nicht.
Täuschung – nach Ansicht der Hersteller sind das Einzelfälle. Einzelfälle, von denen die Stiftung Warentest immerhin monatlich einen abdruckt und die Foodwatch dutzendweise aufdeckt. Was wollt ihr eigentlich? – so der Tenor der Industrie – schließlich bekommt ihr Produkte, von denen keine Gesundheitsgefährdung ausgeht. Genau, es geht um Sicherheit der Produkte (hoch, das sagen alle), um korrekte und vollständige Informationen (mies, das sagen die Verbraucherorganisationen) und die Werbung, die dem Verbraucher immer noch suggeriert, sein Käse würde handgerührt, liebevoll einzeln verpackt und per Holzkarren direkt in den Supermarkt transportiert. Und das gilt nicht mal als Täuschung.
Schützenhilfe kommt von Ulrich Nehring, der ein Institut zur Lebensmittelanalyse betreibt. „Es ist geradezu naiv, was man heute von den Herstellern erwartet.“ Ein Waschmaschinenproduzent werde ja wohl kaum einen Hinweis auf sein Gerät kleben, dass das Konkurrenzprodukt eigentlich besser sei. Wieso sollte ein Lebensmittelhersteller anderes im Sinn haben, als sich von seiner besten Seite zu zeigen? Vor allem gegenüber den Kunden?
„Knapp ehrlich“, beschreibt dann auch Linkenheil seinen Umgang mit Informationen für die Verbraucher. Es werde schließlich nicht zu vermeiden sein, dass sich jeder seinen Vorteil suche. Eine so ehrliche Kommunikation würde sich mancher Verbraucher wohl an anderer Stelle wünschen: zum Beispiel auf den Verpackungen der Produkte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern
Pistorius wird nicht SPD-Kanzlerkandidat
Boris Pistorius wählt Olaf Scholz