■ Jahrestagung der Deutschen Griesgrämerfürsorge: Froh zu sein, bedarf es wenig
„Meine Damen und Herren zu Hause an den Transistoren, ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserer Live-Übertragung der Jahrestagung der Deutschen Griesgrämerfürsorge, die dieses Jahr in der Miesbacher Eugen-Silcher-Halle stattfindet.
Eugen Silcher, meine verehrten Zuhörerinnen und Zuhörer, hat sich ja als Vorkämpfer und Nachdenker der Griesgrämerfürsorgebewegung schon zu Zeiten einen Namen gemacht, da noch niemand ahnen konnte, welche Bedeutung diese Solidargemeinschaft der Übellaunigen eines Tages in unserem Gemeinwesen spielen würde! Doch zurück in die Gegenwart!
Denn in diesem Moment ziehen die Delegationen in die Halle, die ganz in gedämpften Farben gehalten ist. Angehaltener Atem bei den hier versammelten Trauerklößen und Miesepetern, wenn ich das mal so salopp ausdrücken darf. Vorneweg als Gastgeber mit schleppendem Gang die Miesbacher in ihrer unauffälligen Vereinstracht, gleich dahinter die Klagenfurter, die mit ihren betretenen Mienen sicher einiges zum Gelingen dieses Abends beitragen werden. An ihren weit heruntergezogenen Mundwinkeln erkennen wir nun auch die Kollegen aus dem Sauerland, dicht gefolgt von unseren Brüdern und Schwestern aus Mecklenburg – sie werden uns im Laufe des Abends sicher noch einiges vorpommern! Kleiner Scherz am Rande.
Tja, dieses alljährliche Zusammentreffen soll mehr sein als eine moralische Rückenstärkung für die allerorten ins gesellschaftliche Abseits gedrängten Griesgrämer. Sicher, die hier Versammelten zählen nicht unbedingt zu den Muntermachern im Lande, aber wie mir der frischgebackene Kassenwart Molz vorher versicherte, soll heute der Schritt aus dem leider allzuoft selbstgewählten Elefantenturm der Einsamkeit gewagt werden. „Froh zu sein, bedarf es wenig“ ist denn auch ein schönes, sinnstiftendes Motto für diesen Bundeskongreß.
Wie ich gerade höre, stimmen die Bamberger Melancholiker ihre Instrumente! Mal sehen, ob sie ein wenig Schwung in diese Veranstaltung bringen. Sicher, die Wahl zum Kassenwart war schon ein Knüller, ein vorweggenommener Höhepunkt des Abends, aber vielleicht kommt jetzt noch mehr Fahrt in die Bude. Die Bamberger Melancholiker sind ja beileibe kein unbeschriebenes Blatt mehr in der Welt der E-Musik – äh, ja, meine Damen und Herren, die qualvollen Töne, die Sie nun im Hintergrund hören, die gehören bereits zum heutigen Auftakt: die Ouvertüre zum ,Liegenden Holländer'. Das hat Klasse, was die Bamberger da bieten! Selbst Kassenwart Molz, sonst ein eher zurückhaltender Zeitgenosse, ist von ihrer getragenen Intonation derart hingerissen, daß er beseelt mit dem Lineal den Takt klopft. Hoffentlich vergißt er nicht darüber die ihm nunmehr obliegenden Kassenpflichten!
Gewiß, es darf nicht übersehen werden, daß hier und da ein Knurren des Paukisten den ansonsten untadeligen Vortrag untermalt, aber wenn man von den dadurch hervorgerufenen Tempiwechseln einmal absieht, dann sind die Bamberger eine stilsicher agierende Truppe. Hier jedenfalls stellen sie einmal mehr unter Beweis, daß sie nicht die Trübsalbläser sind, als die sie von einigen Krikern allzu vorschnell abqualifiziert worden sind.
Ja, meine Damen und Herren, wie ich gerade von der Sendeleitung erfahre, ist unsere Sendezeit leider vorbei. Schade, denn jetzt tritt mit Herbert Wimmer ein Mann ans Rednerpult, der sich mit seinen düsteren Rechenschaftsberichten einen Ruf weit über die Grenzen der Griesgrämerfürsorge hinaus erworben hat; ein Mann, der noch jeden Saal zum rückhaltlosen Murren brachte. Jedoch, wie so oft, müssen wir abbrechen, wenn es am schönsten ist – und damit zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.“ Rüdiger Kind
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