Jahrestag der Befreiung: Gedenkstätte ohne Gedenken
Die Initiative 8. Mai wird ihre Veranstaltung zum Jahrestag der Befreiung wieder auf dem Lagerfriedhof Bockhorst ausrichten. Die neue Gedenkstätte Esterwegen kommt nicht in Frage.
BREMEN taz | In diesem Jahr könnte die deutsch-niederländische Initiative 8. Mai ihre Gedenkveranstaltung im Emsland zum Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus zum ersten Mal auf der Gedenkstätte Esterwegen ausrichten. Die hat Ende Oktober letzten Jahres zur Erinnerung an die Opfer der 15 Konzentrations- und Strafgefangenenlager im Emsland eröffnet.
Die Initiative, zu der auch ehemalige Gefangene gehören, wird sich am heutigen Samstagnachmittag allerdings nicht dort treffen, sondern, wie in jedem Jahr seit 1985, auf dem Lagerfriedhof Bockhorst bei Esterwegen.
Nikolaus Schütte zur Wick, Fraktionsvorsitzender der Grünen im emsländischen Kreistag, ist sich sogar sicher: „Selbst wenn die Initiative beantragt hätte, ihre Veranstaltung an der Gedenkstätte abzuhalten, wäre das bestimmt nicht genehmigt worden.“
1933 wurden die KZ Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum fertiggestellt, bis 1937 kamen Aschendorfermoor, Brual-Rhede, Walchum und Oberlangen hinzu, ab 1938 Wesuwe, Versen, Fullen, Groß-Hesepe, Dalum, Wietmarschen, Bathorn und Alexisdorf.
In den Emslandlagern wurden insgesamt 70.000 Menschen inhaftiert, darunter politische Gefangene, Homosexuelle, wehrmachtgerichtlich verurteilte Soldaten und sogenannte Nacht-und-Nebel-Gefangene .
1939 übernahm die Wehrmacht drei Lager und nutzte sie als Kriegsgefangenenlager für weit über 100.000 Soldaten aus der Sowjetunion, Frankreich, Belgien, Polen und Italien. 1944/45 dienten die Lager Dalum und Versen der SS kurzzeitig als Außenlager des KZ Neuengamme.
Insgesamt sind in den Emslandlagern rund 30.000 Menschen ums Leben gekommen.
Die Veranstaltung der NS-Opfer wird von den Vertretern des Landkreises gemieden. Nie erschienen ist der ehemalige Landrat Hermann Bröring (CDU), und auch sein Nachfolger Reinhard Winter (CDU) wird nicht an der Gedenkfeier teilnehmen.
In den Emslandlagern waren vorwiegend politische Gefangene inhaftiert, der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky ist an den Folgen seiner Haft im KZ Esterwegen gestorben. Insgesamt sind in den Lagern von 1933 bis 1945 rund 30.000 Menschen ums Leben gekommen.
„Das ist eine eindeutig linksgerichtete Veranstaltung“, sagt Kreissprecherin Anja Rohde über die Gründe des Landrats, der Gedenkveranstaltung fern zu bleiben. Damit hat sie Recht, und einer der diesjährigen Redner ist nicht unumstritten: Heinrich Fink, Theologe und Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), war Rektor der Berliner Humboldt-Universität, bis er wegen seiner Rolle als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi entlassen wurde.
Fink wurde bei der für die Bespitzelung der Kirchen zuständigen Abteilung unter dem Decknamen „Heiner“ geführt. „Trotzdem“, sagt Schütte zur Wick, „sollten unsere Landkreisvertreter das einmal im Jahr aushalten können. Es wäre ein Zeichen von Respekt vor den Opfern und Überlebenden.“
Für Johanna Adickes von der Initiative 8. Mai kommt das ehemalige KZ Esterwegen als Veranstaltungsort allerdings auch nicht in Frage. Man habe das nicht einmal in Erwägung gezogen. Sie sieht die Gedenkstätte, die auf Initiative des Landkreises Emsland errichtet wurde, distanziert: „Die Gedenkstätte ist das DIZ – ohne das DIZ gäbe es sie gar nicht.“
DIZ steht für das „Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager“, das bis zur Gedenkstätteneröffnung in Papenburg angesiedelt war. Der Verein „Aktionskomittee für ein DIZ“ hatte sich 1981 gegründet mit dem Ziel, eine zentrale Gedenkstätte für die Opfer der Emslandlager zu errichten.
Bereits seit den 60er-Jahren gab es dahingehende Bemühungen, die immer wieder von Behörden und Landkreispolitikern abgeschmettert wurden. Das hatte einerseits damit zu tun, dass lange Zeit nur die KZ-Gefangenen als Opfer des NS-Regimes anerkannt wurden, die Strafgefangenen als „nach Recht und Gesetz Verurteilte“ hingegen nicht.
Ein anderer Grund war, dass in den Emslandlagern zu einem erheblichen Teil politische Häftlinge saßen und dem katholisch-konservativen Emsland auch nach dem Krieg alles suspekt war, was von links kam. Auf die Treffen ehemaliger „Moorsoldaten“ am Lagerfriedhof hatte in Zeiten des Kalten Krieges der Verfassungsschutz stets ein Auge.
Das DIZ hat mit Dauerausstellung, Archiv, Lesungen, Workcamps, Seminaren und Veranstaltungen für Schulen maßgeblich zur Aufarbeitung der NS-Zeit im Emsland beigetragen, und hat das bis 1991 auf eigene Kosten getan. Seit Oktober 2011 ist das Zentrum als Kooperationspartner in der Gedenkstätte Esterwegen angesiedelt.
DIZ-Leiter Kurt Buck war als Mitglied der Initiative 8. Mai immer Mitorganisator der Gedenkfeier. In diesem Jahr wird er nicht dabei sein: „Ich muss in Esterwegen Führungen machen.“ Ohnehin, sagt er, sei er stets als Privatperson dort gewesen. Dass die heutige Gedenkveranstaltung wieder auf dem Friedhof stattfindet, begründet er damit, dass das „ja schon immer“ so war. „Nach dem Bau des DIZ in Papenburg ist ja auch niemand auf die Idee gekommen, die Veranstaltung dahin zu verlegen“, sagt er. Dort hat sich freilich weder ein Konzentrationslager befunden, noch diente das DIZ als Gedenkstätte.
„Man hat den Eindruck“, sagt Adickes von der Initiative 8. Mai, „dass Kurt Buck in Esterwegen nicht mehr so selbstständig arbeiten kann wie vorher. Jetzt muss er auch ein Auge auf die Interessen des Landkreises haben.“ Bereits am Tag der Gedenkstätteneröffnung sei ihr aufgefallen, dass Buck zwar anwesend, aber als Leiter des DIZ kaum präsent war: „Ich habe erwartet, dass er ein paar Worte sagen würde – genauso wie es der Landrat und der Vorsitzende der Gedenkstätten-Stiftung auch getan haben. Aber das DIZ hat an diesem Tage ja kaum eine Rolle gespielt!“
„Wir werden in der alten Rheder Kirche und am Ossietzky-Denkmal in Esterwegen Kränze niederlegen“, sagt Kreissprecherin Anja Rohde auf die Frage, ob es denn von Seiten des Landkreises eine Gedenkveranstaltung gebe. „Allerdings wird dies kein offizieller und auch kein öffentlicher Akt. Die Kränze sollen ein Zeichen für die Besucher sein.“
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