Jahrestag Völkermord in Ruanda: Kabuga-Prozess rückt in weite Ferne
Der langersehnte Prozess gegen Ruandas „Finanzier des Völkermordes“ droht zu scheitern. Grund sind Kabugas Gesundheitszustand – und Corona.

Erst im Mai 2020 wurde er nach 22 Jahren auf der Flucht gefasst – in Frankreich, wo er unbehelligt gelebt hatte. Am 26. Oktober 2020 wurde er in das UN-Untersuchungsgefängnis in Den Haag überstellt, um nach Arusha in Tansania gebracht werden zu können, wo der „Residualmechanismus“ des 2015 beendeten UN-Ruanda-Völkermordtribunals residiert, um ausstehende Fälle abzuarbeiten.
Doch es wird immer unklarer, wann der mutmaßlich 86-Jährige je vor Gericht kommt. Der belgische Chefankläger des UN-Residualmechanismus, Serge Brammertz, erklärte am 15. März, es könne noch viele Monate dauern.
Die Covid-19-Pandemie erschwert nicht nur Kabugas Überstellung nach Tansania, sondern auch die Vorbereitung des Prozesses: Jede Befragung möglicher Zeugen, sei es in Frankreich, Belgien oder Ruanda, unterliegt Reisebeschränkungen und Quarantänemaßnahmen. Um in Ruanda die pandemiebedingt abgeriegelte Hauptstadt Kigali zu verlassen oder Gefängnisse zu besuchen, brauchen Brammertz’ Ermittler Sondergenehmigungen.
Schlechter Gesundheitszustand
Bis zum 15. September soll Brammertz einen Zwischenstand abliefern. Aber er schließt nicht aus, dass die Richter den Beginn der Hauptverhandlung bis 2022 hinausschieben. Erschwerend kommt hinzu, dass zahlreiche relevante Dokumente mehr als zwei Jahrzehnte alt sind: Der erste UN-Haftbefehl gegen Kabuga datiert aus dem Jahr 1998. Viele Zeugen aus der Zeit müssten erst noch wiedergefunden werden. Auch der Zeugenschutz bleibt virulent, obwohl der Völkermord schon 27 Jahre her ist.
Kabugas französisches Pflichtverteidigerteam wird von Emmanuel Altit geleitet, der gerade erst den Freispruch des ehemaligen Präsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, vor dem Internationalen Strafgerichtshof erstritten hat. Altit hat nun den Residualmechanismus aufgefordert, ihm sämtliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die auch den Anklägern vorliegen, auch vertrauliche Beweismittel. Dies sei für die „Waffengleichheit“ notwendig, schrieb er.
Verwirrend ist, dass Kabuga und Altit sich zerstritten haben. Altit hat seine Entpflichtung beantragt mit der Begründung, er wolle keine Anweisungen von Kabugas Familienangehörigen annehmen oder diesen Akteneinsicht gewähren, wie Kabuga es gefordert habe – das verstoße gegen die anwaltliche Schweigepflicht. Die Richter des Residualmechanismus lehnten am 1. April die Entpflichtung ab.
Letztendlich stellt sich aber die Frage, ob Kabuga sich je vor Gericht verantworten wird. Schon vor seiner Überstellung nach Den Haag hatten die Anwälte des damals 85-Jährigen seinen schlechten Gesundheitszustand geltend gemacht. Sollte die Kammer in Arusha einen Termin zur Eröffnung der Hauptverhandlung festsetzen, könnte die Verteidigung mangelnde Verhandlungsfähigkeit geltend machen und medizinische Gutachten anfordern – und damit alles immer weiter verzögern.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Trump, Putin und Europa
Dies ist unser Krieg
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt