■ Jahrelang hat sich die Anti-AKW-Bewegung gegen Endlagerung gewehrt. Nun muß sie ihre Taktik ändern: Der lange Marsch in den Ausstieg
Wer den Ausstieg aus der Atom- und Plutoniumwirtschaft befürwortet, muß auch die Hand heben für die Abwrackung der Atommeiler und der Brennelementefabriken – und für ein Endlager. Siemens will in vier sogenannten Rückbauphasen, die einzeln von der Atomaufsicht mit der vom Atomgesetz vorgeschriebenen öffentlichen Anhörung genehmigt werden müssen, die stillgelegte Brennelementefabrik zur Fertigung von Mischoxid-(MOX)- Brennelementen aus Uran und Plutonium schleifen: leerfahren, dekontaminieren, demontieren und abreißen. In rund fünf Jahren soll die einzige deutsche MOX- Brennelementeschmiede in Hanau vollständig eliminiert sein. Ein Grund zur Freude? Ein Grund zur Freude. Doch offenbar nicht für den Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und die Initiative Umweltschutz Hanau (IUH). Die grau gewordenen und nach ungezählten Abwehrschlachten gegen die „Atommafia“ narbenbedeckten Recken der Bewegung um Eduard Bernhard (BBU) und Elmar Diez (IUH) sammelten fleißig Unterschriften gegen die Abwrackpläne der Siemens AG. Und sie fordern Siemens auf, Alternativen zu diesen Abwrackplänen zu benennen.
Es gibt aber keine (vernünftige) Alternative zum Abriß. Und die vom BBU vorgetragene Idee, die Betriebseinheiten in der Brennelementefabrik zu kleinen Betonbunkern umzufunktionieren und dann den gesamten Komplex mit Beton zu übergießen, frei nach dem Motto „Beton – es kommt drauf an, was man draus macht!“, ist reiner Nonsens. Nach Tschernobyl in der Ukraine einen zweiten atomaren Sarkophag direkt vor die Haustüren von Millionen von Menschen im Rhein-Main-Gebiet setzen? Nein danke! Das Zeug – rund 3.000 Kilogramm Plutonium und rund 30.000 Kilogramm Uran – muß weg. Die entscheidende Frage ist: wohin? Und, zweitens: Wie sicher ist der Abtransport der lebensgefährlichen Fracht?
Wohin? Am besten in ein Endlager. Doch ein Endlager gibt es nicht. Weder in den Staaten, die Atomkraftwerke betreiben, noch auf einem Südseeatoll. Für die Energieversorgungsunternehmen (EVU) ist das Teufelszeug schlicht ein Wirtschaftsgut. Und Wirtschaftsgüter müssen verkauft werden. Etwa nach Frankreich (Cogema). Denn dort können noch MOX-Brennelemente assembliert und fertige MOX-Brennelemente weltweit in Reaktoren eingesetzt werden. Und nach Frankreich will Siemens auch die dann dekontaminierten Anlagenteile zur Fertigung von MOX-Brennelementen verkaufen. Und auch die hypermodernen, nie in Betrieb genommenen und demnach nicht radioaktiv belasteten Anlagenteile aus der fast fertig gebauten, aufgegebenen neuen MOX-Fabrik in Hanau.
Das „Zeug“ bleibt uns also erhalten. Nicht in unmittelbarer Nähe in Hanau. Aber in der Provence, der Normandie und in England funktioniert der (europäische) Plutoniumkreislauf weiter wie geschmiert. Und die MOX-Fabrik der Cogema in Cadarache ist so störanfällig, wie es die MOX- Fabrik in Hanau war. Doch ohne ein Endlager und ohne staatlichen Eingriff in die Machenschaften der privatwirtschaftlich organisierten Atomwirtschaft auch in Deutschland muß auch das zunächst hingenommen werden. In Frankreich ist der Ausstieg aus der Atom- und Plutoniumwirtschaft nach wie vor kein Thema. Und deshalb auch kein Thema auf der europäischen Ebene.
Und die Sicherheit der Transporte von Hanau nach Cadarache, La Hague oder auch Sellafield in England? Die muß von der Transport-Genehmigungsbehörde, dem Bundesamt für Strahlenschutz und dem Hessischen Umweltministerium gewährleistet werden. Darauf sollten sich die UmweltschützerInnen bei der öffentlichen Anhörung im Oktober konzentrieren und kein Pardon bei den Sicherheitsauflagen zulassen.
Läuft alles nach Plan und kann die Sicherheit der Transporte garantiert werden, ist Hanau – bis auf den Bundesbunker – in vielleicht fünf Jahren frei von Plutonium. Doch weil es noch immer kein Endlager gibt, glaubt die europäische Plutoniumwirtschaft weiter an eine strahlende Zukunft für die Branche. Doch die Front bröckelt: Die deutschen EVU haben aus Kostengründen auf die Inbetriebnahme der neuen Fabrik in Hanau verzichtet. Und die EVU kommt die Wiederaufarbeitung ihrer abgebrannten Brennelemente aus den Atommeilern der Republik im europäischen Ausland inzwischen so teuer, daß die Giganten der Branche – allen voran die RWE – auf die Zwischenlagerung (Gorleben) setzen. Daß aus dem Zwischenlager einmal ein Endlager wird, befürchten die Mitglieder von Bürgerinitiativen nicht nur in Niedersachsen. Doch ein Endlager ist und bleibt der Schlüssel zum Ausstieg aus der Atom- und Plutoniumwirtschaft.
„Keine Plutoniumfabriken in Hanau und anderswo!“ Das müßte jetzt – in Verbindung mit einer fundierten Endlagerdebatte – das neue Motto der Anti-Atom-Bewegung werden. Die strategische Überlegung, daß ohne Endlager der Entsorgungsdruck auf die Atom- und Plutoiniumindustrie wachse und so den Ausstieg provoziere, ist realitätsfern. Der Entsorgungsdruck war und ist latent. Aber er hat uns auf dem langen Marsch zum Ausstieg dem Ziel keinen Schritt näher gebracht. Die europäische Wiederaufarbeitung und die nationale Zwischenlagerung werden noch auf Jahrzehnte die Maxime der Atomgemeinde bleiben.
Atomkraftwerke und Atomanlagen – wie jetzt in Hanau – leerfahren und die abgebrannten Brennelemente und strahlenden Reststoffe dann endlagern, das ist der direkte Weg zum Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft und letztendlich auch aus der sogenannten friedlichen Nutzung der Atomkraft. Sonst werden die atomaren Altlasten, die wir zukünftigen Generationen aufbürden, noch größer, als sie es heute schon sind. Da werden AtomkraftgegnerInnen und auch PolitikerInnen aus dem Lager der Bündnisgrünen und der SPD über ihren (strategischen) Schatten springen müssen. Wer daran glaubt, wird selig. Wer nicht daran glaubt, kommt allerdings auch in den Himmel. Klaus-Peter Klingelschmitt
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