: Jagd aufs billigste Angebot
■ Restpostenmärkte sprießen wie Pilze aus der Erde / Die Lust am Sparen ist eine schichtübergreifende Leidenschaft Von C. Gerlach und S. Steffen
Der Preis ist das Wichtigste. „Hauptsache billig“ scheint für viele die Devise zu sein, wenn sie sich in einem Restpostenmarkt befinden. Egal, ob noch reichlich Butterkekse im Vorratsschrank sind, die Kühltruhe bis zum Rand mit Pommes gefüllt ist – es wird gekauft auf Teufel komm raus. Der Handel hat sich die Lust am vermeintlichen Schnäppchen schnell zunutze gemacht. Jede Woche werden neue Sonderpostengeschäfte eröffnet – kürzlich auch in Hoheluft.
Bei „Pfennigwelt“ kostet jeder Artikel nur 99 Pfennige. Vom Fußgel bis zu Hundefutterdosen – die Leute stopfen sich die Einkaufswagen voll, als gebe es kein Morgen mehr. „Neueröffnungen sind bei uns beinahe wie ein Weltuntergang“, sagt Geschäftsführer Jürgen Bandow, „die Kunden kaufen uns in drei Tagen den ganzen Laden leer.“
Die Erklärungsversuche für dieses lemmingartige Massenphänomen sind vielfältig. „In Zeiten drastischer Sparmaßnahmen muß verstärkt auf die Preise geachtet werden“, sagen manche. Andere vertrauen eher auf tiefenspychologische Erkenntnisse. „Die Leute erzielen einen Lustgewinn, wenn sie Sachen billiger kaufen“, ist aus psychoanalytischen Kreisen zu erfahren. Sie sähen den Kaufakt als „Intelligenzduell“ mit dem Verkäufer und hielten sich für pfiffiger, wenn sie scheinbar ein Schnäppchen gemacht hätten: „Das finden die geil.“
Kaufmann Bandow ist es ziemlich egal, weshalb seine Geschäfte so gut laufen. Das Familienunternehmen, das in Norddeutschland sieben „Rin un Rut“-Märkte und neuerdings zwei „Pfennigwelt“-Läden betreibt, will den Boom nutzen und noch in diesem Jahr drei weitere Läden eröffnen. Ihrem Namen macht „Rin un Rut“ alle Ehre. Obwohl nur drei Tage pro Woche geöffnet, müssen anschließend „Einräummannschaften“ anrücken, um die leeren Regale wieder aufzufüllen. Die reduzierten Öffnungszeiten scheinen die Kunden anzuspornen, daß sie in Torschlußpanik auch noch die überflüssigsten Produkte erwerben.
Doch nicht nur findige Einzelunternehmen haben Erfolg mit dem Verkauf von Restposten. Auch Großkonzerne haben die Zeichen erkannt. Die Hamburger Firma „Tchibo“ bietet ihre Ladenhüter in den 24 Verkaufsstellen ihrer norddeutschen Kette „Posten & Partien“ noch einmal an. Sogar Produkte des Konkurrenten „Eduscho“ werden feilgeboten. Der Kaufhaus-Riese „Karstadt“ setzt auf seine „Schnäppchenmärkte“, wie auch den im Hamburger Haupthaus an der Mönckebergstraße. Das Geschäft lohnt sich für den Essener Konzern, der sogar Artikel bei Herstellern ankauft, die wirtschaftlich unter Druck stehen.
Nicht nur Schlechtverdiener nutzen die vielen No-Budget-Angebote. „Viele Bank- und Versicherungsangestellte kommen jeden Tag in ihrer Mittagspause“, sagt eine „Karstadt“-Mitarbeiterin. Sie scheint eine schichtenübergreifende Leidenschaft zu sein, die Jagd nach dem billigsten Angebot.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen