JÜRN KRUSE ÜBER FERNSEHEN WIE WETTER UND GESELLSCHAFT MIR MEINE GANZJÄHRIGE LIEBLINGSBESCHÄFTIGUNG MADIG MACHEN : In kurzen Hosen fernsehen
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Das Gespräch mit Anke Engelke lässt mich sehr verstört zurück. Nicht, dass die Frau böse wäre oder angsteinflößend. Ganz im Gegenteil: Sie hat einen sanften Händedruck wie Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz. Es ist viel schlimmer: Engelke verunsichert mich, weil sie kaum Fernsehen guckt.
Sie könne zu Hause einfach nicht rumsitzen. „Zu Hause lebe ich doch! Da koche ich, da quatsche ich, da spiele ich, da bumse ich, da mach ich Sachen, da wasch ich Wäsche“, sagt sie im sonntaz-Interview, das an diesem Wochenende erscheint. Außerdem gebe es so viele Sendungen, „die Unfug sind“.
Ja, das stimmt. Aber es gibt doch auch so viel Schönes im Fernsehen. Und dieses verdammte heiße Wetter, diese dauerstrahlende Sonne, diese Hitze – sie machen mir das Fernsehvergnügen doch schon madig genug: Ständig soll man rausgehen, sich mit Freunden treffen, endlich sei der Sommer da. Biergarten, am Kanal rumsitzen. Ausnutzen müsse man das.
Und das Fernsehen selbst macht es einem gerade in dieser Jahreszeit, in der man so viel Zuspruch bräuchte, auch nicht leicht. Ständig nur Wiederholungen, Sommerinterviews und Shows wie „Wild Girls“ bei RTL, in der Frauen mit viel zu großen Brüsten in ein Dorf der Himba in die Wüste Namibias geschickt werden. Eine Sendung, die wohl sogar dem Kölner Prollsender zu peinlich ist, um sie im Herbst oder Winter zu zeigen.
Also muss ich ausweichen, auf DVDs zum Beispiel: Wie toll ist es doch, einen Abend die herrliche Arte-Serie „Borgen“ zu schauen. Draußen 30 Grad, drinnen ein kühles Getränk und politische Intrigen in Dänemark, wo die anderen ruhig ihren teuren Sommerurlaub verbringen können, während ich auf dem Sofa sitze.
Auch darf ich, da sich die Sommerpause langsam dem Ende entgegenneigt, endlich wieder Fußball im Fernsehen genießen, sei es die EM der Frauen oder die Vorbereitungsspiele der Bayern unter Pep – und an diesem Wochenende den wertlosen Supercup. Ich gucke trotzdem.
Wenn es zu warm ist, dann kann man doch so entspannt in kurzen Hosen fernsehen. Aber die Gesellschaft, in der ich mich bewege, scheint noch nicht so weit zu sein, das akzeptieren zu können. Es regiert das Geh-raus-Diktat. Und jetzt auch noch Engelke, die ja selbst Fernsehen macht, und das schon seit langer Zeit und sehr erfolgreich – und mir mit ihrem Aktivitätsdrang ein schlechtes Gewissen bereitet. Es ist hart.
Doch es kommt noch schlimmer. Denn bisher hatte ich eine Anlaufstelle, wo ich mich stets herzlich empfangen fühlte. Wo keiner mich und mein Gewissen malträtierte: Hey, ist doch voll schön im Park, geh doch mal raus! Wo ich offen sagen konnte, dass ich einfach nur glotzen will. Wo ich die Füße auf den Couchtisch legen durfte: bei meinem Kumpel Carsten, den ich an dieser Stelle schon mal erwähnte. Der hat eine tolle Sommer-Fernseh-Wohnung. Hinterhaus, erster Stock, kein Balkon, kaum Sonneneinstrahlung, ungetrübter Blick auf den Bildschirm, Ventilator in der Ecke.
Doch Carsten zieht weg. Nach Schleswig-Holstein. Ich werde ihn und die Sommer-Fernseh-Wohnung vermissen.