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JUGENDFREIE SCHLEPPERFILMESturmfest und erdverwachsen

■ Heute: Der neue deutsche Heimatfilm — »Jever light — Wo die Wellen schlagen an den Strand«

Was macht eigentlich der deutsche Heimatfilm? Gibt es ihn überhaupt noch? Und wenn ja, wo geht er hin? Der Zweitling des gebürtigen Niedersachsen Hinnerk Bartelsköster Jever light — Wo die Wellen schlagen an den Strand versucht behutsam die Annäherung an eine vorsichtige Antwort.

Mit beeindruckend grünen Bildern aus der Vogelperspektive setzt Bartelsköster die Zuschauer in der Eingangssequenz unvermittelt dem norddeutschen Alptraum aus: eine öde, menschenleere Wiesen- und Weidenlandschaft ohne Kühe und Bundesstraßen, das Grün nur unterbrochen von einem starr in die Luft gereckten rot-weißen Leuchtturm. Nichts als Gegend, wohin man schaut. Eine steife Brise geht über das flache Land. Kein Schimmelreiter weit und breit, der den Naturgewalten Trotz böte, wie man es noch aus den Deichgraf-Verfilmungen von 1933 (mit Marianne Hoppe) und 1977 (mit Gert Fröbe) kennt. Bei Bartelsköster scheint die Natur gesiegt zu haben. Doch dann — fast unmerklich — nähert sich die Kamera zwei weißen Flecken, die allmählich zu Menschen, ja zu Mann und Frau werden — eine kleine Hommage an die Schöpfungsgeschichte, aber ohne Gottvater (Deichgraf?). Zwei blondäugige Ureinwohner schreiten sturmfest und erdverwachsen, aber lachend dem Horizont entgegen, ganz in Weiß gekleidet, die Farbe der Unschuld, des Bierschaums und des Segelschiffs, welche wiederum die drei großen Mythen der Küste bilden. Schon in seinem Erstling Jever light — Wo die Reiher einen großen Bogen machen hat Bartelsköster neben der Mythen-Trinitas immer wieder den Topos der Zweisamkeit in der ungebändigten Natur als sinnfällige Metapher — ja, für was eigentlich? — verwendet.

Der Heimatfilm der Fünfziger erzählte von glücklichen Bergen, rauhen Menschen und farbenprächtigen Hirschen, und das genügte ihm. Aber: Der Bayer hat zwei Gesichter. Die Siebziger zeigen die dunkle Seite der Heimat: Gier, Gewalt und Gemeinheit. Auch die Achtziger wurschtelten in diese Richtung weiter. Bartelsköster will diese festgefahrenen Gleise (bewußtlose Idylle hie, Grausamkeit da) verlassen. Er will wieder zurück zu den Anfängen, dorthin, wo Luis Trenker und Martin Heidegger in den Dreißigern aufgehört haben: bei der existentiellen Begegnung von Mensch und Natur, bei der Geworfenheit in das So-Dasein. Aber anders als der Gipfelbezwinger Trenker in Berge in Flammen oder Der Rebell setzt Bartelsköster auf Versöhnungsarbeit: der Mensch als Partner der Natur, der Mann als Partner der Frau. Ökologisches Bewußtsein und Frauenbewegung haben auch beim scheuen Heimatfilmer aus dem Norden Spuren hinterlassen. Herbes Bier — ja, aber sanft gebraut, bitte. Zusammen leben und trinken. Bartelsköster hat das Zeug, zum Wim Wenders des Heimatfilms der neunziger Jahre zu werden. Volker Gunske

Jever light — Wo die Wellen schlagen an den Strand, Niedersachsen 1991, 85 Sek., zu sehen im Off-Kinoprogramm.

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