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Archiv-Artikel

JÖRN KABISCH über DAS GERICHT Essen wie aus dem Setzkasten

Trennkost taugt nicht nur zur Diät. Es gibt einige Variationen. Drei Beispiele

Als der Teller auf dem Tisch stand, ordnete der Gast das Gericht neu. Die Soßenflecken, die der Koch eben erst an den Rand geträufelt hatte, wischte er mit einem Stück Baguette ab. Und trennte dann säuberlich alles voneinander. Als ob er einen Fisch filetierte. Was gerade noch als kleiner Turm aus Rösti, Steak und Spinat aufeinander thronte, wurde verteilt: das Fleisch in der oberen linken Ecke des Tellers, daneben die Kartoffeln, der Spinat und die Garnitur, ein paar Kerbelblättchen, alles im Uhrzeigersinn. Anschließend räumte der Mann sogar noch breite Korridore zwischen den Zutaten mit dem Messer frei. Und aß dann den Teller leer, sichtlich mit Appetit – genau entgegen dem Uhrzeigersinn. Die Kellner hielten ein und staunten.

Aber das soll nun keine Anekdote sein, um auf die ausbreitende Dekorationswut in deutschen Restaurants zu sprechen zu kommen und dann noch mit so auffällig wenig Soße wie möglich zu bekleckern. Auch wenn das Bild des auseinanderdividierenden, planerfüllenden Essers kein Einzelfall ist. Ich habe einen in meiner Bekanntschaft, und wir nennen ihn liebevoll den „Trennköstler“. N. selbst findet das nicht zutreffend. Er esse eben gerne „unverfälscht“, wie er erklärt, und in der Reihenfolge Kohlenhydrate, Fleisch, Beilage. „Bitte ohne Soße“, sagt er wie selbstverständlich, Eintöpfe wie Aufläufe rührt er nicht an, eine Suppe hat klar zu sein und die Einlage darin ersichtlich. „Ich muss einfach sehen, was ich esse.“ Vielleicht liegt das auch an einer anderen Eigenart. N. sucht in jeder Speisekarte nach Knoblauch. Er hasst das Zeug und stochert in nicht als sicher befundenen Lokalitäten gerne im Teller nach „Kontaminationen“. Wir gehen kaum noch gemeinsam essen. Nun mache ich wieder einen Versuch. Es gibt da ein Lokal, das serviert das Essen in US-Kantinengeschirr – Essen wie aus dem Setzkasten.

Mit echter Trennkost hat das nicht viel zu tun. Aber vielleicht hat Howard Hay, ein US-Arzt, der als Erfinder dieser Ernährungsweise gilt, auch so angefangen und Anfang des 20. Jahrhunderts am Esstisch in New York seinen Teller erst mal aufgeräumt. Die Mediziner hatten den übergewichtigen, schwer nierenkranken Mann bereits aufgegeben, der Bauch tat entsprechend weh, da war es mit dem Appetit ohnehin nicht weit her. Hay aß Eiweiß und Kohlenhydrate nicht mehr zusammen, trennte also Steaks und Pommes, nahm ab und genoss so ausnehmend gut, dass er noch 30 Jahre lang die Trennkost als Diät für alle möglichen Leiden anpreisen konnte. Er traf den Puls der Zeit. Damals rollte gerade die erste Schlankheitswelle über die Vereinigten Staaten.

Heute ist das Prinzip hinter der Trennkost medizinisch überholt. Hays Annahme, der menschliche Organismus könne Eiweiß und Kohlenhydrate nur schlecht gemeinsam verdauen und übersäuere, ist widerlegt. Trotzdem erfreut sich Trennkost immer noch großer Popularität und ist ein Diät-Evergreen geblieben. Das Gesunde daran ist wohl einfach, dass man sich mit der Ernährungsweise von allzu viel Fleisch und Kohlenhydraten trennt und notgedrungen mehr dem Gemüse zuwendet. Daran lässt sich tatsächlich nichts Schlechtes finden.

Einen Fall von Übersäuerung muss ich nun doch noch beschreiben – gewissermaßen eine dritte Variation zu Trennkost, aus einer Zuschrift des Lesers H., eines passionierten Kochs, der sich für einen Kochwettbewerb vorbereitete. Doch das braucht Übung, und also stellte sich H. ständig an den Herd. Die Rezepte wurden komplizierter, die Zubereitung dauerte länger, und so, schreibt H., „wurde aus dem Abendessen immer öfter ein Mitternachtsmahl“. Nach einiger Zeit gestand ihm seine Freundin, deren Appetitlosigkeit er für einen Feinschmeckergaumen gehalten und sich umso mehr ins Zeug gelegt hatte, dass ihr eine einfache Tiefkühlpizza zur Tagesschau sehr viel lieber sei als Wachtel à la Witzigmann zum Nachtmagazin. Ihre Beziehung brauche noch andere Nahrung. Wenig später waren die zwei getrennt. Obwohl sich H. die Worte zu Herzen genommen, Pizza gebacken und eingefroren hatte. Da, schreibt er, „hatte ich es mir mit meiner Freundin verkocht“.

JÖRN KABISCH

DAS GERICHTFragen zur Trennkost? kolumne@taz.de MORGEN: Bettina Gaus über FERNSEHEN