JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE : Jetzt also doch noch: Weltende
Ist es angesichts der immensen Sprengkraft der Hiroschima-Bombe noch angezeigt, Obsttage zu machen?
Das geht immer runter wie Öl: Einmal im Jahr werde ich „Künstler“ genannt. Dann schreibt die Künstlersozialkasse aus Oldenburg und fragt an, in welchem Kunstbereich ich im kommenden Jahr meine Haupteinkünfte zu erzielen gedenke. Dem Brief liegt ein Formblatt mit Kennziffern bei, auf dem man sich was Nettes aussuchen darf. Was soll’s diesmal sein? Nun, ich hatte an Malerei gedacht. Auch Marionettenspiel würde mich mal interessieren. Tanzmusiker? Ballettmeister? Mhm. Alleinunterhalter? Ach, es wird wohl doch wieder auf Position W 04 und die hohe Kunst hinauslaufen, Ihnen hier einen vom Pferd zu erzählen.
Neulich versuchte ich, der Zeit ein Schnippchen zu schlagen. Das ehrgeizige Experiment, durch maximales Einfuttern von Äpfeln, Birnen et al. zwei Obsttage in einem einzelnen Kalendertag abzuarbeiten, um also das Zeitfenster für Gebratenes und Hi-Carb-Zeug aller Art weiter aufzustoßen, misslang. Ich hoffe, es war wenigstens gesund, obwohl sicher irgendwo ein Wissenschaftler, gerade während wir hier ratschen, zu der Erkenntnis gelangt, dass gar so viel Obst auch gar nicht so gesund ist. Oder hier: „Die Glatze ist verschwunden“, stellte mein Kollege letztens fest, als es um augenfällige Modetrends der letzten zwölf Monate ging. Typisch, und meine kommt grad erst.
Warum ich das erzähle: Erstens wegen Position 04 und zweitens, weil ich illustrieren will, über was für Klitzchen wie gesunde Ernährung, Haarausfall und, ja, Altersvorsorge man sich luxuriöserweise sorgt, wo doch ständig das Weltende droht. Jetzt hatte ich gerade erst aufgeatmet, weil der Dritte Weltkrieg nicht ausgebrochen ist. Der Nostradamus, sagt der Kollege AJ, hat nämlich prophezeit, dass, wenn der Papst stirbt, der Dritte Weltkrieg ausbricht. Jetzt gibt’s aber schon seit Wochen einen nagelneuen Papst und immer noch keinen Dritten Weltkrieg und ich dachte schon, wir sind aus dem Gröbsten raus. Und dann haben sie jetzt am Sonntag im TV in der Reihe „Wunderbare Welt“ oder „Passabler Planet“ oder wie das heißt, einen Beitrag gebracht über diesen Supervulkan unter dem Yellowstone-Nationalpark in Wyoming. Haben Sie schon mal was gehört von dem Supervulkan unter dem Yellowstone-Nationalpark? Nein? Dann, muss ich empfehlen, lesen Sie nicht weiter. Der Supervulkan unter dem Yellowstone-Nationalpark zählt nämlich ganz klar zu den wenigen Dingen, über die man lieber nicht Bescheid weiß. Nicht so wie beim Broiler-Verzehr, wenn einem jemand erklärt, wie Brathähne industriell erzeugt werden. Da kann man dann etwa hergehen und nur noch Biobrathähne essen oder bei einer Initiative gegen Massentierhaltung mitarbeiten. Beim Supervulkan unter dem Yellowstone-Nationalpark helfen keine Initiativen, sondern eigentlich nur die süße Unwissenheit. Vor Jahren las ich mal im Spiegel was darüber und hoffte, das sei nur so eine Wissenschafts-Räuberpistole. Aber seither wurde weithin berichtet über den Supervulkan unter dem Yellowstone-Nationalpark – und jetzt kam eben auch noch „Endsgeile Erde“ damit an.
Der Supervulkan unter dem Yellowstone-Nationalpark, haben Wissenschaftler herausgefunden – und die hätten mal lieber weiter Obst erforscht, anstatt mir hier so den Tag zu verderben –, fliegt durchschnittlich alle 600.000 Jahre in die Luft. Zuletzt, hüstel, vor 630.000 Jahren. Und wenn er das tut – und er könnte es zum Beispiel tun, während wir hier so nett ratschen – dann mit mehrtausendfacher Sprengkraft der Hiroschima-Bombe. Heidenei. Und dann ist wirklich einiges wurscht.
Ich sag’s glatt so: Wenn der Supervulkan unter dem Yellowstone-Nationalpark ausbricht, dann fragt keiner mehr nach Geheimratsecken und Obst gibt’s dann auch keins mehr. Dann sprengt’s nämlich erst mal die halben USA weg und dann gibt’s global ein paar Jahrzehnte lang nuklearen Winter. Wenn ich’s mir so überlege: Ich glaube, ich kreuze doch „Ballettmeister“ an. Das wollte ich doch noch ausprobiert haben, solange Oldenburg noch nicht in Asche versunken ist. Ach, und was soll’s: Ich pflanz noch ein Apfelbäumchen.
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