ein irgendwie espenlaubiges, ein zartes, aber ausdauerndes nicken hinter dem steuer : JOHANNES GERNERT über geschockte Busfahrer
Plötzlich wollte die BVG Geld. Kundenkontakt ist unausweichlich
Der Berliner Busfahrer ist offenbar krank. Es ist eine bisher unbekannte Nervenkrankheit, die ihn seit einigen Monaten heimzusuchen scheint. Der Patient nimmt äußerst parkinsonsche Züge an – er tut dies jedoch bei völliger Geistesklarheit. Deshalb also sitzt der Busfahrer nun immer mit starrem Blick auf seinem Busfahrerbock. Stiert durch die Windschutzscheibe hindurch. Und nickt und nickt und nickt einem Wackeldackel gleich mit dem Kopf, während sich Passagiere an ihm vorbeischieben. Es ist ein zitterndes Nicken. Ein espenlaubiges, irgendwie zartes. Es zeichnet sich aus durch seine tiefe Unbeteiligtheit. Um die Ursache des neuartigen Nervenleidens zu erkunden, muss man den Schock des Großstädters verstehen im Zusammenhang mit der Vorne-Reform der BVG.
Früher, als Passagiere immer ohne zu bezahlen hinten einstiegen, hatte der Busfahrer mit Menschen nichts zu tun. Er lebte ein zufriedenes Leben in der Abgeschiedenheit seiner Fahrerkabine. Wenn doch einmal ein moralisch allzu vorbildlicher Kunde ans Bezahlen dachte, fand sich der Fahrer widerwillig mit dieser Störung ab und händigte maßvoll missmutig Fahrkarten aus.
Doch plötzlich kam die BVG und wollte Geld für den Transport haben. Zwangsläufig bedeutete das Kontaktaufnahme durch den Kunden. Der Mensch ist von großstädtischen Massen alleine schon geschockt genug, das haben uns Flaneure vor knapp hundert Jahren bereits gelehrt: wie die geballt umherströmenden Individuen eine Schock-Erfahrung beim Betrachter hervorrufen. Der Busfahrer muss diese Menschenmassen nun in ihrer kanalisierten Form ertragen. Sie werden an ihm vorbeigejagt und halten ihm zudem seltsame Papierfetzen vor die Nase. Das ist etwa so, als würde man menschenmassenmäßig die gesamte Spree mit Hochdruck durch einen Gartenschlauch jagen. Irgendwann blickt der Gärtner mehr als mäßig bedröppelt drein. Ebendies tut nun auch der Busfahrer. Er ist zu Recht geschockt. Er starrt und nickt, wenn der Passagier mit der Monatskarte wedelt. Nickt wie hypnotisiert – ausdauernd.
Schließlich sieht er sich durch die permanente Präsentation von Fahrausweisen zu einer Reaktion genötigt. Er kennt auch die in diesem Fall sozial erwünschte Handlung. Man könnte die Tickets ansehen und womöglich sogar die Besitzer. Freilich würde man auch dabei ein bisschen bekloppt auf Dauer. Ja, danke, nick, danke, ja, danke schön, super, Sie haben dran gedacht, gratuliere, danke, nick.
Nein. Eine Irrsinnsüberforderung wäre das für den Busfahrer. Die BVG hätte zeitgleich mit dem Vorne-Einsteigen auch Psycho-Programme für Chauffeure anbieten müssen. Wenigstens Warnschreiben abschicken: „Sie könnten sich in den nächsten Tagen einem ungewöhnlich großen Andrang von Menschen gegenübersehen. Bereiten Sie sich gedanklich darauf vor. Reagieren sie nicht über.“
Eigentlich verhält sich der Busfahrer in Anbetracht des Menschenmassenschocks sehr loyal. Er rennt nicht mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen einfach davon. Er stellt sich der Gefahr. Er nickt halt ein bisschen abwesend. Jetzt, wo der Sommer auch einige Sonnenstrahlen zeigt, hat er manchmal eine Remedur gegen das Nervenleiden parat. Er setzt sich einfach eine Sonnenbrille auf. Dann sieht der Passagier gar nicht, wo der Busfahrer hinschaut. Gleich wirkt alles wesentlich gesünder.