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JETZT MUSS DIE US-NAHOSTPOLITIK ZU IHREN WURZELN ZURÜCKFINDENAus Clintons Fehlern lernen

Den US-Amerikanern wird die Präsidentschaft von Bill Clinton in guter Erinnerung bleiben, trotz des Lewinsky-Skandals. Das Land erlebte acht Jahre Wirtschaftsaufschwung, allen geht es ökonomisch irgendwie besser, insbesondere der Oberschicht, die überproportional profitiert hat. Die außenpolitische Bilanz des 42. US-Präsidenten dagegen ist ambivalent, ruhm- und glanzlos. Insbesondere Clintons Nahostpolitik blieb unvollendet, trotz intensiven persönlichen Einsatzes. Ein Friedensvertrag zwischen Israelis und Palästinensern hätte für seine Präsidentschaft die Krönung sein können. Dass es dazu nicht kam, hat sich Clinton selbst zuzuschreiben. In Bezug auf die beiden Kontrahenten hat der US-Präsident Fehler gemacht, aus denen der neue Präsident George W. Bush lernen sollte.

Präsident Bush sollte wieder zu einer stärker ausgewogenen Haltung im Nahen Osten zurückkehren, wenn er in der Region etwas bewirken will. Die Rolle des „ehrlichen Maklers“, welche die USA für sich in dieser Region beanspruchen, verkam unter Clinton zur bloßen Karikatur. Kein US-Präsident war so proisraelisch wie er. Dies ging so weit, dass Clinton Friedensvorstellungen der Israelis den Palästinensern camoufliert als amerikanische Ideen präsentierte. Als diese das merkten, die Vorschläge ablehnten und damit den Gipfel von Camp David scheitern ließen, wies der US-Präsident ihnen öffentlich im israelischen Fernsehen die Schuld zu: „Arafat hat in Camp David daran gearbeitet, die israelische Sehnsucht auf Jerusalem zu durchkreuzen.“ Die wahren Gründe für das Scheitern aber lagen in der Intransigenz Israels und der Schwäche oder Unwilligkeit Clintons, Israel zu wirklichen Konzessionen zu bewegen. Der Präsident sah in jeder palästinensischen Verhandlungsposition eine potenzielle Bedrohung Israels.

Israel bildet seit seiner Gründung einen Teil des amerikanischen nationalen Interesses. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Aber unter Clinton ging dies so weit, dass die amerikanische Nahostpolitik zu stark von der israelischen Lobby in den USA beeinflusst wurde. Ein großer Teil von Clintons Beraterstab kam aus US-jüdischen Einrichtungen und Think-Tanks. Dass dadurch der Blickwinkel auf den Konflikt verengt wurde, zeigte sich auch daran, dass die USA von ihrer einst eindeutigen völkerrechtlichen Position in diesem Konflikt nach und nach abrückten. Unter Clinton mutierte die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik peu à peu zu einem Akt, der „nicht hilfreich“ und dem Friedensprozess „nicht dienlich“ sei, wie Dennis Ross und Außenministerin Madeleine Albright betonten. Frühere US-Administrationen bezeichneten das Westjordanland, den Gaza-Streifen und die Golanhöhen als „besetzte Gebiete“ – die Clinton-Regierung nicht; stattdessen nutzte man den Begriff „umstrittene Gebiete“, deren zukünftiger Status in bilateralen Verhandlungen bestimmt werden sollte. Das Völkerrecht sollte außen vor bleiben.

Auch verurteilte Clinton nie die Menschenrechtsverletzungen Israels in den besetzten Gebieten. Selbst das Massaker 1996 im libanesischen Dorf Qana, bei dem 120 Menschen durch eine israelische Rakete getötet wurden, rechtfertigte der Präsident beim Besuch von Israels Premier Schimon Peres mit „israelischen Sicherheitsinteressen“. Zuvor hatten die USA versucht, die Veröffentlichung des UN-Berichts zu verhindern. Die Clinton-Administration stimmte gegen jede Resolution, die entweder vom UN-Sicherheitsrat oder der Generalversammlung mit einem kritischen Unterton gegen Israel eingebracht worden war.

Das gravierendste Handicap Clinton’scher Nahostdiplomatie war, dass die USA eindeutig Partei waren, obwohl sie „ehrlicher Makler“ hätten sein sollen. Die USA sind Israels Hauptwaffenlieferant, strategischer Verbündeter und diplomatischer Interessenvertreter. Israel erhält den größten Anteil der amerikanischen Auslandshilfe, jährlich drei Milliarden US-Dollar. Diese Fakten disqualifizieren die USA als eine Macht, die einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten vermitteln könnte. Wenn George W. Bush mit seiner Nahostpolitik größeren Erfolg haben will, sollten die USA zu ihren traditionellen demokratischen Gepflogenheiten in der Außenpolitik zurückkehren, und zwar zum Einsatz für Freiheit und Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung, für die Achtung des Völkerrechts und für die Rechte von Unterprivilegierten. LUDWIG WATZAL

Politikwissenschaftler und Nahostexperte

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