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JE KLEINER DIE INSEL, DESTO VERBLÜFFENDER, AUSLÄNDER ZU TREFFEN. Klar aber, dass die Frau, die über „die ganzen Flüchtlinge überall“ in Deutschland schimpft, aus Hamburg kommtRessentiment mit Sahne

Foto: privat

Vogelfluglinie

von Rebecca Clare Sanger

Ein sehr großes Eis nehme ich, mit extra Zuckerschaum, Schlagsahne, Softeis und Marmelade in der großen Waffel. „In der großen Waffel?“, fragt der Eisverkäufer mich mit irgendeinem Akzent. Ich nicke, einfach so, und wähle Pfefferminz und Karamell und veranstalte auf der anderen Seite der Glasscheibe allerlei Sachen mit Augen und Händen, damit er die großen Pfefferminzschokoladenstücke mit in die Kugel nimmt. Keine Sekunde lang hadere ich mit mir selbst –vor Schreck.

Nur eine Stunde ist es her, dass mein Mann eine neue Stellung angenommen hat, als Kapitän auf einer Fähre, die eine 158-Seelen-Insel im Storebelt bedient. 24 Stunden Wachten, zweieinhalb Stunden Fahrzeit von Møn aus: Entweder ich freue mich in Zukunft auf Abende allein zuhaus'und einsames Windelwechseln. Oder wir ziehen um.

Kapitän Knud hatte das Vorstellungsgespräch auf der Brücke geführt. „Komm ruhig rauf, komm ruhig rauf“, hatte er zu mir gesagt, die sich den Ausflug zum Storebelt nicht hatte entgehen lassen wollen.

„Willkommen, willkommen“, sagte dann die Frau von Kapitän Knud, als wir die Insel betraten. Alles schlief –Häuschen, Baustellen, Fischerboote, Fische. Bloß das kleine Persönchen, welches Knud uns auf der Hinreise als seine „winzigkleine Philippina“ beschrieben hatte, hatte im Vorbeigehen aus ihrer Riesenstrickjacke herausgewinkt, war noch mal umgekehrt, hatte „Willkommen in eurer neuen Heimat“ gesagt, und führte uns nun auf einen kleinen Rundgang. Ruhig sei es hier, sagte sie, im Vergleich zu Manila.

Sein Kollege habe ihn nach der Scheidung immer so geärgert, erzählte uns Kapitän Knud dann auf der Rückfahrt. Weil aber die Frau jenes Kollegen von Mauritius stammte und auf dem Festland die Sprachschule besuchte –auch Kapitän Nr. 2 lebte auf der kleinen Insel, stellte ich dabei mit Sorge fest; wo würde denn dann eigentlich Kapitän Nr. 3 mal wohnen? –und weil unter den Klassenkameradinnen nix Passendes gewesen sei, ihre philippinische Klassenkameradin ohnehin bald nach Manila fahren würde, Knud in dem Moment aber gerade kein Foto von sich zur Hand gehabt hatte, hatte also die Klassenkameradin Knud unbesehen verkuppelt und nach ihrer Rückkehr mit einer Hand voll Fotos am Hafen gestanden. Und Knud hatte sich diejenige der fremden Frauen ausgesucht, die der maurizischen seines Kollegen am meisten ähnelte. 15 Jahre ist das alles nun her.

Verblüffend hoher Ausländeranteil auf der Insel, denke ich bei mir, der mit uns dann ja sogar noch steigen würde. Und eine verblüffend zufriedene philippinische Inselbewohnerin auf dem Storebelt, auch das denke ich, auch wenn sich mir die Nackenhaare gesträubt haben bei der Geschichte von Kapitän Knud. Aber es zählen nicht Vorurteile. Es zählen Fakten.

Ich frage also den Eisverkäufer, wo er herkommt. „Aus dem Libanon“, sagt er. Vor 25 Jahren sei er nach Dänemark gekommen, lebe gerne in dem ruhigen Küstenstädtchen –„nicht so viele Ausländer“, sagt er. Hamburg kenne er auch gut, habe mit seinem Bruder sogar ein Import-Export-Geschäft. Vom Hamburger Hafen aus.

„Ich bin auch Hamburgerin“, sagt plötzlich, auf Deutsch, die einzige andere Anwesende. „Ach, was“, sage ich. „Na, was hat dich denn hierhin verschlagen?“ –„In Deutschland hältst du’s doch gar nicht mehr aus“, sagt sie. „Die ganzen Flüchtlinge überall! Furchtbar!“, auch das sagt sie, und der Eisverkäufer lächelt, weil wir lächeln. Ich erkläre ihm auf Dänisch, dass die Frau aus meiner Heimatstadt komme. „Ich hätt’ja auch nicht gedacht, dass ich mal hier landen würde“, erklärt sie, „Dänemark, da wollte ich nicht tot über‘m Zaun hängen.“ Im Korb hat sie Zigaretten und Süßzeug. Einige Sitten des fremden Landes sind ihr also offenbar nicht zu befremdlich. „Aber hier wo wir leben, ist es hübsch. War auch nie wieder in Deutschland.“

Die Sprachschule habe sie hier nicht besucht, „alles nur Polacken und Rumänen“. Also spricht sie im Altenheim, in dem sie arbeitet, Polterdiwolter und wird sicherlich irgendwie verstanden. Denn daran, dass Deutsch gesprochen wird, oder Dänisch mit deutschem Akzent, erinnern sich, wenn dann, ja die alten Leutchen.

Schlagsahnefront. Wir schließen die Grenzen. In der Nacht sind alle Katzen braun.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle. Einen Band mit ihren „Hamburger Szenen“ aus der taz.hamburg hat der Verlag Michason & May unter dem Titel „Hamburg Walking“ veröffentlicht.

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