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Archiv-Artikel

JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT Sehnsuchtslandschaft Antalya

Unter dem Pflaster liegt der Strand, gerade zur Ferienzeit. Nicht exklusiv in Paris, dafür pauschal in der Türkei

Weltläufigkeit ist keine Dreingabe bürgerlicher Menschen mehr, das ist gerade in der Urlaubszeit gut zu sehen. Vor allem auf Flughäfen, besonders dem Düsseldorfer, von wo aus das halbe Ruhrgebiet in den Süden aufbricht. Die Ungeübten erkennt man leicht. Mutter spricht lauter, Vater guckt genervt, die Kinder erbetteln Coca-Cola oder Eis oder Aufmerksamkeit – jedenfalls dauert der Eincheck sehr lange. Der Unterschied zu den neobürgerlichen oder gar prekären Kreisen ist ein lärmender: Die guten Stände haben von klein auf gelernt, jede Unsicherheit zu kaschieren, nach Mallorca auf die Finca zu fliegen, der Sommerfrische wegen, nicht der Sangria auf dem Laufsteg namens Ballermann. Kommt man mit Turbobräunung zurück, war man segeln – und lag nicht nichtsnutzig am Strand.

Für jene ist Urlaub natürlich Bildung, Horizonterweiterung und die Suche nach Differenz. So kam Italien über uns, seit Ende der Fünfziger, als der Tourismus zum Wirtschafts- und Entwicklungsfaktor wurde, auf diese Weise erwuchs so etwas wie die Toskanafraktion: Wohllebe in Pastelltönen zu gutem Essen und feinen Getränken, gelernt in einer Gegend, die ohne Lifestyleaufjazzung ungefähr so attraktiv wäre wie die Steppe hinter dem Kaukasus. Der Deutsche als solcher lernte Vokabeln und weiß, dass man auch in deutschen Deliläden Prosciutto bestellen kann, dass Antipaste kein Medikament ist, sondern … Richtig, ein italienisch verbrämter Aufschnittteller ohne deutsches Mischbrot, dafür sehr olivenölverschmiert.

Aber die können es sowieso, die reisen routiniert, die wissen, wie man sich benimmt, als Deutscher bitte nicht so laut. Kinder aus proletarischen Verhältnissen und ihre Eltern verhalten sich da triebenthemmter. Klatschen, wenn der Pauschalflieger sanft landet, dankbar fast, nicht umgebracht worden zu sein – doch zunächst eine Geste der Demut und des Endes der Flugangst. Sie schließen mit Ihresgleichen, gern in Antalya, auf Krk oder auf dem Campingplatz nah der Côte d’Azur schnell Kontakt.

Sie tragen im Übrigen Steffi oder Kevin oder Mirko, auch Lisa (der Trendname in der Unterschicht!), Tim oder Manu (auch neu: beim Standesamt registriert ohne das -ela): Kinder, deren Gesichter am Pauschalflugcounter noch Sehnsucht verströmen, Spannung und Neugier. Ihre Eltern warten nicht auf die Morgenmaschine oder den Abendflieger nach Nairobi, zur Safari, und das Wort Holzklasse kennen sie auch nicht: So heißt nämlich die Economy-Klasse, und eine bessere können sie sich eh nicht leisten.

Das war früher anders, da fuhren viele Familien in ihren besten wie anstrengendsten Wochen des Jahres nur an die Nordsee oder zur Tante aufs norddeutsche Land, weil es dort zwar meist arschkalt war (und ist), aber Papa konnte doch kein Englisch – und wie hätte das denn den Familienfrieden beschwert, wenn der Macker bei der Kommunikation mit dem Personal wie ein Trottel aussieht. Manche Familien mussten deshalb sehr viele Jahre in deutschen Landen bleiben. Das ist jetzt anders, die niederen Stände können auch auf polyglott machen. Und gut, dass spanische oder türkische Servicekräfte deutsch sprechen. Parallelweltlich gesehen ist das auch sinnvoll: Nur die besseren Kreise versteifen ihre Lippen, wenn sie korrekt englisch sprechen oder italienisch oder gar spanisch – und auf Deutsch geantwortet bekommen.

Möchte man allerdings die doch sehr austarierte deutsche Urlauberlandschaft mal aus dem Blick lassen, wünscht es krasser, wende man sich Flughäfen in Osteuropa zu. Ob Riga, Krakau, Bratislava, Tallinn oder auch Simferopol auf der Krim: Da wird noch ungebührlich gelärmt vor dem Abflug – da fangen die Lektionen der Weltläufigkeit erst so recht an, da ist noch echte Abenteuerangstlust im Spiel. Es sind auch Wanderarbeiter darunter, junge Polen, die in England oder Irland besser entlohnt werden als in ihrer alten Heimat – und in diesen Tagen Urlauber, die in den Süden wollen. Die hart verdienten Kröten am Strand verjubeln: Das stiftet Völkerverständigung.

Fragen zum Fluglärm? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH