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■ Italiens Regierung will Annexion von Teilen der AdriaküsteDie Gunst der Stunde nutzen

Die famose „Schlußakte von Helsinki“, die die nichtfriedliche Veränderung der nationalen Grenzen ausschließt, scheint immer weniger das Papier wert, auf dem sie steht. Zwar reden sich eifrige Schönfärber bei den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien noch darauf hinaus, daß die Angegriffenen keine „völkerrechtlichen Subjekte“ seien, sondern „lediglich“ ethnisch oder religiös definierte „Zonen“, „Enklaven“ oder gar nur „Orte“. Über eine solche Interpretation mag man streiten. Ganz sicher aber fällt, was nun Italiens neue Regierungskoalition an Forderungen bezüglich Istriens aufstellt, in den KSZE-Verantwortungsbereich – und zwar unter die zu ächtenden Vorgänge.

Hier geht es nämlich ohne Wenn und Aber um die Annexion des Adriaküstenstreifens von Triest bis Dubrovnik – ohne je mit den derzeitig dort herrschenden Regierungen (Kroatien und Slowenien) gesprochen zu haben. Daß sich die Neofaschisten vom Bündnis-Führer Berlusconi den Zusatz „aber nur innerhalb ,Europas‘“ gefallen lassen, hat dabei nicht einmal Ablenkungswert: Finis nun wieder herausgekramtes unverhülltes Einverständnis Belgrader Regierungsmitglieder zur Annexion – „es gehört euch, nehmt's“ – zeigt deutlich, woher der Wind weht: Wir greifen zu, wir nehmen es uns einfach, mit oder ohne Gegenwehr. Und, weiterer Beweis der Gefährlichkeit dieser Forderung: In Italien wird die Frage, grauenhaft aber wahr, kaum unter völkerrechtlichem, doch viel unter dem pragmatischen Aspekt diskutiert – bringt's was, oder verbrennen wir uns die Finger?

Der naheliegende Gedanke ist natürlich, hier nun dieses „Europa“ in Gestalt der EU oder auch die KSZE aufzurufen: Mit lauter Stimme sei zu rufen: Hier wird nicht gezündelt. Und zwar bevor es wieder zu spät ist.

Doch welche Glaubwürdigkeit hat dieses Europa noch, nach den Serien von Niederlagen im internationalen Krisenmanagement? Italiens Rechte sieht das auch so. Und sie sucht den Augenblick zu nutzen. Der Konflikt ist damit vorprogrammiert – erstmals nicht mehr „Ostblock“-intern, sondern wieder an einer Grenze zwischen West und Ost. Werner Raith, Rom

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