■ Italiens Liga-Chef verbietet den Umgang mit Journalisten: Ein unzensierbares Volk
Rom (taz) – Was hat das hehre Parlament im feinen Palazzo Chaigi Roms doch schon alles gesehen: Raufereien, Ohrfeigen, 1983 gar eine halbe Stunde versperrte Zugänge, weil Neofaschisten dem frischgewählten Abgeordneten Toni Negri – er war wegen Verdachts auf terroristische Vereinigung eingespert – das Mandat verwehren wollten. 1993 warfen Mitglieder der Liga Nord sogar Münzen auf Abgeordnete und Minister, sozusagen als Protest gegen die Korruption. Und mittendrin zog ein Abgeordneter auch einen Henkerstrick aus dem Ranzen, um zu demonstrieren, was er mit den Geldeinsackern des Regimes am liebsten machen würde.
Ein „lebendiges Parlament“, pflegte Giovanni Spadolini zu sagen, lange Zeit Vorsteher der Zweiten Kammer, des Senates der Republik. Der Parlamentspräsident ist vor kurzem verstorben, doch was nun passiert ist, wird ihn, den einstigen Journalisten, wohl wie einen Ventilator im Grab rotieren lassen: Umberto Bossi, genannt „il senatur“, Chef der Liga Nord, hat seinen Parlamentariern untersagt, elf namentlich genannten Journalisten künftighin noch Interviews zu geben. Anklage: die fiesen Burschen – unter anderem von Blättern wie La Stampa und dem Corriere della Sera, La Repubblica und vom Indipendente, ja sogar Berichterstatter von Regionalzeitungen wie der Gazzetta del sud – hätten den Inhalt des von der Liga vorgelegten Antitrustgesetzes nicht korrekt wiedergegeben. Was allerdings auch insofern schwierig gewesen war, weil der Text zunächst von zwei Hinterbänklern präsentiert, dann zurückgezogen, danach erneut vorgestellt und schließlich von Bossi selbst in meist recht unvollständigen Sätzen „präzisiert“ worden war.
Presseschelte sind Italiens Reporter natürlich gewohnt. Bereits der erste Ministerpräsident nach dem Krieg, Alcide De Gasperi, danach sein Innenminister Mario Scelba und eine lange Reihe weiterer Regierungschefs bis hin zum Sozialisten Bettino Craxi hatten immer „ihren“ Lieblingsfeind unter den Journalisten, auf den sie öffentlich einhieben oder mit dem sie kein Wort mehr redeten. Doch eine regelrechte schwarze Liste hat bisher noch niemand anzulegen versucht.
Mehrheitlich führen die Betroffenen ihren Ärger über Bossi in einer Mischung aus Ironie und Verachtung ab. Der dritte Fernsehkanal der RAI zeigte süffisant Bilder, in denen Liga-Abgeordnete trotz des Verdikts ostentativ Arm in Arm mit indizierten Schreiberlingen auf- und abmarschierten, und wünschte Bossi „viel Glück in seinem neuen Amt als Zensor eines unzensierbaren Volkes“. La Repubblica publizierte eine lange Liste anderer Versuche, die Presse zum Schweigen zu bringen, die allesamt danebengegangen waren. Il Manifesto titelte trocken „Der Schreihals“, und beim Betreten des Parlaments skandierte eine Gruppe aus der schreibenden Zunft „censura censur, che bel senatur!“ (Zensur, Zensur, welch schöner Senatur).
Eher entsetzt reagierte Parlamentspräsidentin Irene Pivetti, obgleich Parteifreundin Bossis: Sie selbst hat vor zwei Tagen wegen ihr zugeschriebener abträglicher Äußerungen über Regierungschef Berlusconi eine kräftige Polemik mit dem stellvertretenden Chefredakteur von La Voce gehabt; doch nun erklärte sie sofort: „Daß Presseleute nicht selten lügen, ist bekannt. Doch ein ,Minculpop‘ wird es in dieser zweiten Republik bitte nicht geben.“
Das „Minculpop“ ist einer der Symbolbegriffe für den Faschismus – Mussolini hatte ein „Ministerium für Volkskultur“ eingerichtet, in dem die staatliche Zensur der Presse durchgeführt wurde. Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen