Italiens Gerichtsmühlen mahlen langsam: Noch zu Lebzeiten hinter Gitter?
Luciano Moggi, der große Verschieber des italienischen Fußballs, hat gute Karten, der Haftstrafe zu entgehen. Denn im Regelfall dauert der Gang durch die Instanzen Jahrzehnte.
MAILAND taz Wer seine Lesebrille nicht aufgesetzt hatte, wird sich gewundert, womöglich sogar gefreut haben. Mit fetten Lettern hatte die Gazzetta dello Sport bekannt gegeben, dass die Staatsanwälte eine sechsjährige Haftstrafe gegen den früheren Fußballfunktionär Luciano Moggi beantragt hatten. Moggi hatte im Zentrum des 2005 aufgeflogenen Bestechungs- und Betrugsskandals in der Serie A gestanden. Unter der Überschrift mit der Forderung der Anklage war ein großes Foto abgedruckt, auf dem unschwer Premierminister Silvio Berlusconi mit seinem Staatsgast Lula da Silva und der Brasilien-Fraktion des Berlusconi gehörenden AC Mailand zu erkennen war.
Auf den ersten Blick waren Überschrift und Foto auch inhaltlich miteinander verbunden. Erst genaueres Lesen brachte die Erkenntnis, dass den Seite-1-Machern der Gazzetta mal wieder eine grandiose - vermutlich unfreiwillige - Collage gelungen war. Bild und Überschrift gehörten zu unterschiedlichen Meldungen. Berlusconi stand dieses Mal nicht im Zentrum von Gerichtsverfahren. Er hatte nur seine kickenden Angestellten kurz nach Rom zitiert, um die Gesprächsatmosphäre mit dem brasilianischen Präsidenten, der selbst begeisterter Ronaldinho- Anhänger ist, ein wenig angenehmer zu gestalten.
Ex-Juve-Manager Luciano Moggi sieht sich hingegen tatsächlich mit der Androhung einer Gefängnisstrafe von sechs Jahren konfrontiert. Seinen Sohn Alessandro möchte der römische Staatsanwalt Luca Palamara gern für fünf Jahre hinter Gittern wissen. Vier weitere ehemalige Mitarbeiter der Moggis sollen für kürzere Zeit ins Gefängnis. Unter ihnen befindet sich mit Davide Lippi auch der Sohn des aktuellen Nationalcoachs Italiens. Ihm drohen 16 Monate.
Sie alle hatten in Moggis Spielerberatungsagentur GEA gearbeitet. Staatsanwalt Palamara ist überzeugt, dass diese Agentur - sie hatte 119 Spieler unter Vertrag - den italienischen Fußball kontrollieren wollte. Interessenkonflikte waren durchaus gegeben, war der Chef der Agentur, Luciano Moggi, doch gleichzeitig Geschäftsführer von Juventus Turin. Vorher hatte er im Management von Lazio und AS Rom, FC Turin und SSC Neapel (in der Maradona-Zeit) gearbeitet. Der GEA wird vorgeworfen, Spielertransfers manipuliert und durch ihren Einfluss auf einzelne Vereine den Marktwert von Spielern beeinflusst zu haben. Einen Hinweis auf die harten Bandagen, die die Moggis angewendet hatten, um zu ökonomischem Vorteil zu gelangen, hatte der frühere Juve-Spieler Fabrizio Miccoli gegeben.
Das einstige Offensivtalent hatte den Richtern gesagt, dass Alessandro Moggi ihn gedrängt hätte, sich von ihm vertreten zu lassen. Miccoli war jedoch bei seinem alten Spielerberater geblieben. Daraufhin hatte der Stürmer, der gerade seine Karriere in der Nationalmannschaft begonnen hatte, kaum noch Einsatzzeiten bei Juve erhalten und war an andere Vereine ausgeliehen worden. Erst jetzt in Palermo hat er wieder zu alter Stärke zurückgefunden und sich in die Nähe der Nationalmannschaft gespielt. Die jetzt vor dem römischen Gericht aufgearbeiteten Tätigkeiten der GEA umfassen nur den kleineren Teil des italienischen Fußballskandals. Die Staatsanwaltschaft Neapel bearbeitet den Strang der Schiedsrichterbestechungen und Spielmanipulationen. Hier könnte Moggi eine weitere Haftstrafe drohen. Ob das in Rom vor Gericht stehende Sextett die Strafe jemals antreten muss, ist allerdings ungewiss.
Das Urteil der ersten Instanz wird erst im Januar gefällt. Ein Einspruch ist, egal wie das Urteil ausfällt, in hohem Grade wahrscheinlich. Bis zur dritten Instanz schleppen sich in Italien Prozesse mitunter 10, manchmal sogar 20 Jahre hin. Der gegenwärtig 71 Lenze zählende Moggi senior weilt dann vielleicht nicht mehr unter den Lebenden. Wenn doch, sind die Vergehen, deren er beschuldigt wird, möglicherweise verjährt. Oder er ist so krank, dass er eine eventuelle Haftstrafe nicht anzutreten braucht. Seine Prozessauftritte am Tiber und am Fuße des Vesuvs nutzt der Fußballrentner für spitze Kommentare zum Status quo. "Es herrschen heute in der Liga noch schlimmere Verhältnisse als zu meinen Zeiten", so lautete sein jüngster Beitrag.
TOM MUSTROPH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles