Italien feiert Rücktritt: Berlusconi geht, Monti kommt
"Heute ist der Tag der Befreiung Italiens": Silvio Berlusconi ist zurückgetreten, seine Gegner feiern das Ende einer Ära auf den Straßen.
ROM taz | Die Konsultation des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano mit den Parteien hatten am Sonntagmorgen noch gar nicht begonnen, da stand ihr Resultat schon weitgehend fest: Italiens neuer Regierungschef wird Mario Monti heißen. Staatspräsident Giorgio Napolitano gab dem 68-jährigen früheren EU-Kommissar am Sonntag den Auftrag, eine Regierung zu bilden, berichtete das Präsidentenamt. Der Schritt erfolgte nach dem Rücktritt Silvio Berlusconis.
Und Monti wird sich, zumindest vordergründig, auf eine breite parlamentarische Mehrheit stützen können. Mit dem Auftrag zur Regierungsbildung an Monti wurde schon für Sonntagabend gerechnet - pünktlich vor der Eröffnung der Börsen am Montag.
Doch ehe der Neue ran darf, verabschiedete Rom am Samstag erst einmal gebührend den alten Regierungschef. Autokorsos und Hupkonzerte, als hätte Italien gerade die Fußball-WM gewonnen, dazu eine Menschenmenge, die sich erst vor dem Palais des Ministerpräsidenten versammelte, dann zu Berlusconis Privatresidenz und schließlich vor den Quirinalspalast marschierte, als der gescheiterte "Ausnahmepolitiker" seine Demission einreichte: Rom war in Feierlaune.
Sektkorken knallten, "Bella Ciao" und die Nationalhymne wurden angestimmt, ein improvisiertes Orchester mit Chor spielte Händels "Halleluja" - und viele sprachen emphatisch vom "Tag der Befreiung".
Kaum noch Widerstand gegen Monti
Der 68-jährige Mario Monti, Ökonomieprofessor und von 1995 bis 2004 Mitglied der EU-Kommission, wird keinerlei Schwierigkeiten haben, das Vertrauen der Staatskanzleien und der Finanzmärkte zu gewinnen. Schon vor den Konsultationen bei Staatspräsident Napolitano zeichnete sich auch eine breite Front im Parlament ab, die bereit ist, ihn zu stützen.
Auch Berlusconi hatte am Samstag den Widerstand gegen Monti aufgegeben, nachdem deutlich wurde, dass ein Festhalten am harten Konfrontationskurs seine Partei zu spalten drohte. Nur der bisherige Koalitionspartner, die Lega Nord unter Umberto Bossi, wird sicher in die Opposition gehen.
Auch auf der Linken war Antonio Di Pietro, Chef der Partei "Italien der Werte", umgeschwenkt und hatte auf die Forderung nach sofortigen Neuwahlen verzichtet. Andernfalls wäre die zukünftige Allianz mit der gemäßigt linken Partito Democratico (PD).
Doch die neue Monti-Regierung wird für ihre Gesetzesvorhaben auf das alte Parlament angewiesen sein. Monti weiß nur zu gut, dass die soziale Akzeptanz für das anstehende Sparprogramm an zwei Punkten hängt: wie stark auch die Reichen zur Kasse gebeten werden und wie energisch die üppige Alimentierung der Politiker beschnitten wird.
Zum ersten Punkt hat er sich schon in den Vortagen klar geäußert, mit den Worten "Basta Privilegien". Gerade die Partito Democratico erwartet von ihm die umgehende Einführung einer Vermögensteuer. Die aber will das Berlusconi-Lager verhindern. Schon am Sonntag titelte die Tageszeitung aus dem Hause Berlusconi Il Giornale: "Monti, der prekär Beschäftigte". In der Tat ist der Berlusconi-Block im Abgeordnetenhaus in die Minderheit geraten, im Senat aber verfügt er über eine Mehrheit.
Leser*innenkommentare
karakoram
Gast
@ krawuf
Hat einer behauptet, der Mann sei ritterlich? Wie gesagt (und vielleicht von Ihnen überlesen?), der Mann ist ein Drecksack und vielfacher Straftäter. Aber er scheidet eben nicht deshalb aus dem Amt, sondern weil er letztlich an seiner Weigerung gescheitert ist, Italien den gleichen kontraproduktiven, die Gesellschaft in seinen Grundfesten (Solidarität, Sozialstaatlichkeit, Demokratie, das Volk als Souverän) schädigenden Schwachsinn diktieren zu lassen wie Griechenland. Und genau das wird jetzt passieren, denn Monti ist ein weiterer, phantasieloser Systembüttel. Dass ein paar Sätze in der Kommentarspalte nicht den Anspruch erfüllen, eine "ausgefeilte Analyse" zu liefern, dürfte wohl klar sein. Aber mein erster Kommentar verweist doch auf eben jene Analyse. Vielleicht mal nachlesen und dann äußern?
krawuf
Gast
@karakoram: Berlusconi, der sich weigert Italien der internationalen Finanzmafia auszuliefern und deshalb zurücktreten musste - ein echter Cavaliere! Ritterlich bis zum letzten Tag. Das nenne ich eine ausfeilte Analyse, die diesen Rücktritt endlich mal ins Gesamtbild setzt. Mannomann ...
jenny
Gast
Wer wird schon von einem 3-Monats-Regenten wie Monti
Wunder erwarten.
Italien hat sicher eine breitere industrielle Basis
als Griechenland u. hätte ohne die hohen Zins-
zahlungen auf die 120% BSP-Schulden sogar einen
kleinen Haushaltsüberschuss.
sicher könnte ein Grossteil der Schuldzinsen mit
der effektiveren Verfolgung der Steuerhinterzieher
u. Schattenwirtschaft die 25 - 33% des BSP. ausmacht,
beglichen werden können; dies setzt aber eine kontinuierliche effektive Regierung voraus, nicht
einen 100 Tage Super-Mario u. auch nicht ständig wechselnde Koalitionen von klientelgesteuerten
Kleinparteien.
In Italien ist mehr im Argen als ein Berlusconi u.
besonders die perspektivlose junge Bevölkerung, bei
der es bis in die 30ger Jahre über 30% Arbeitslosig-
keit u. Unterbeschäftigung mit 700 Eu. -Jobs hat
wenig Aussicht auf rasche Besserung -
Gerade Süditalien unterhalb von Rom wird so immer
tiefer in die Arme der gesetzlosen Mafiosi fallen !
karakoram
Gast
Und wieder bleibt es an den Nachdenkseiten hängen, diesen Rücktritt ins Gesamtbild einzuordnen. Dass es sonst kein Medium tut, ist ja klar (man erinnere sich an Henry Ford's Satz, dass in dem Moment die Revolution losbricht, in dem die Menschen das Finanzsystem durchschauen), aber von der taz erwarte ich dazu schon ein, zwei Sätze.
Berlusconi ist ein Drecksack in jeder ihm vorgeworfenen Hinsicht, aber sein Rücktritt ausgerechnet jetzt hat eine ganz andere Dimension als die durch unsere Propaganda-Broschüren verbreitete und ist wahrlich nicht nur ein Grund zum Jubeln.
Warum ist er weg? Nicht, weil ihm endlich seine unzählbaren Verfehlungen um die Ohren fliegen, sondern weil er sich weigert, Italien an die Finanzmafia um IWF, EU und irgendwelche "Finanzexperten" auszuliefern, die genauso schwachsinnige, prozyklische Austeritätspolitik diktieren wird wie in Griechenland und damit letztlich die Krise verschärft indem sie die Konjunktur und Steuereinnahmen abwürgt, gigantische (Volks-) Vermögen in die Hände von Banken und deren Hintermännern schleust, den Staat weiter entmachtet, die Konzern- und Banken-Hegemonie weiter vorantreibt, das Armenheer vergrößert, den Druck auf die Bevölkerung erhöht und ihnen gleichzeitig griffige Feindbilder liefert, damit bloß niemand auf die Idee kommt, die Systemfrage zu stellen. Und es gäbe noch viel mehr zu sagen - oder drüber zu schreiben. Warum tuts keiner?
Übrigens: Italiens Leistungsbilanz ist positiv. In Bedrängnis bringt sie ihr enormer Zinsdiest. SYSTEMFRAGE!!!
Und zum Schluss für die, die immer gern "Verschwörungsspinner" rufen, noch eine Steilvorlage: Das alles passt sehr schön ins Bild der New World Order according to Rockefeller, Kissinger, Brzezinski und ihrer Augsburger Puppenkiste.
Befreiung die hunderste
Gast
Deutschland feiert den Rücktritt Honeckers
Deutschland feiert den Rücktritt Helmut Kohls
Deutschland feiert den Rücktritt Schröder-Trittins
irgendwer feiert den Rücktritt Milosevics
Köln feiert die Rückkehr Poldis
Afghanistan feiert den Rücktritt der Taliban
Irak feiert den Rückzug Husseins
Ägypten feiert Rücktritt ...
Ukraine feiert den Rücktritt ...
USA feiert die Ablösung von George W. Bush.
Libyen feiert den Rückzug Ghadaffis
FDP feiert den Rücktritt Westerwelle. Ab jetzt wird geliefert...
Merkt ihr etwas ? Na also.
Italien wird sicher viel besser wenn berlusconi in seinem Sender sitzt und überlegt, wie er die Politik ganzer Länder so kontrollieren kann wie Murdoch.
Seit der DDR sind welche Länder Befreit worden ? Und was ist daraus geworden ? Na also.