piwik no script img

■ Italien: Damen locken mit dahingehauchten SprüchenKabarettist besiegt Sex-Telefon

Rom (taz) – Italien erneut vor einer Revolution? Mit einer geradezu lawinenartigen Zustimmung ist das Fernsehpublikum (Einschaltquoten bis zu 40 Prozent) einem Vorschlag des Kabarettisten Beppe Grillo gefolgt und hat dem staatlichen Mitgesellschafter der soeben teilprivatisierten Telefongesellschaft SIP eine derartige Lektion erteilt, wie (nach dem Urteil von La Repubblica) „dies bisher nur die Untersuchungsrichter der Schmiergeldermittlung ,Mani pulite‘ geschafft haben“. Anlaß war für Grillo die seit Monaten boomende Lockkampagne für Sex-Telefone, die unter der Vorwahl 144 zu erreichen sind.

Als Politkiller war der wuschelhaarige Grillo schon immer gefürchtet, seine Witze brachten Mitte der 80er Jahre Ministerpräsident Bettino Craxi so in Rage, daß er den Possenreißer vom Fernsehschirm verbannen ließ. Doch Grillo überstand den Blackout unversehrt, und als er nun auf die Mattscheibe zurückkehrte, in zwei fulminanten einstündigen Solo- Sendungen, brachte er sich, aggressiv wie immer, in Stellung. Sein Angriffsziel: die Zeitungen mit ihrer Liebedienerei gegenüber Mächtigen – vor allem aber die Werbeagenturen der schönen bunten Warenwelt. Als Musterbeispiel diente ihm die Bedürfnisweckung durch die Telefongesellschaft SIP. Jeden Abend durchwabern Busen, Popos und sinnliche Lippen die privaten Lokal-Fernsehsender. Bekannte Pornodiven (wie Cicciolina) und unbekannte Damen locken mit dahingehauchten Sprüchen: „Chiamami“, ruf mich an – ein teurer Spaß. Eine Minute kostet umgerechnet etwa 2,50 DM. Die Einnahmen teilten sich die Telefongesellschaft – und damit der staatliche Mitgesellschafter STET – und die Pornofirma.

Anwähler sind zum Gutteil höhere Angestellte großer Firmen, aber auch Jugendliche und Kinder. Entsetzt stellte der zur Sanierung des milliardenweit in die roten Zahlen gerutschten Medienkonzerns Fininvest (Eigner: Silvio Berlusconi) bestellte Sanierer fest, daß mehr als zwei Drittel der Telefonkosten aus den oberen Etagen für Sex-Gespräche ausgegeben wurden. Noch entsetzter aber waren ahnungslose Eltern, die plötzlich landauf, landab vor Telefonrechnungen in Höhe mehrerer Millionen Lire (umgerechnet mehrere tausend Mark) standen. Hier setzte Grillo an. Sein Vorschlag: „Schreibt eine Karte: ,An das schandbare Staatsunternehmen STET, zu Händen des schandbaren Generaldirektors Biagio Agnes, Rom.‘ Text: ,Schande‘.“ 70.000 Karten und Briefe gingen schon am ersten Tag nach der Sendung ein, mehr als eine Million sind es inzwischen. Eilig mußte der angegriffene Staatsmanager, der zuvor noch hochmütig Klage gegen Grillo wegen Verunglimpfung angekündigt hatte, nicht nur seinen juristischen Schritt annullieren, sondern auf Druck der Regierung auch noch einen Großteil der vergebenen 144-Nummern einstellen.

Was jedoch für viele Italiener am Erfolg Grillos noch mehr zählt: Unabhängig vom „Angriff“ auf das Staatsunternehmen waren die Anrufe unter den fraglichen Nummern bereits von selbst so massiv geschrumpft – um bisher mehr als 60 Prozent –, daß viele der Lockanbieter ihre Dienste einstellen müssen. Dahinter verbirgt sich jedoch ein noch größerer, von der Wirtschaft bisher noch unter der Decke gehaltener Erfolg des Kabarettisten: Auch die anderen von ihm angegriffenen beworbenen Produkte – von Arzneimitteln über Zahnbürsten bis zu verkaufsfördernden Beilagen von Zeitungen – verzeichnen einen senkrechten Absturz.

Glückliches Land, das einen Grillo hat – und eine Bevölkerung, die auf ihn hört. Werner Raith

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen