Israel und die arabische Revolution: Angst vor dem September
In Israel wird befürchtet, dass die Proteste nur die Ouvertüre für die geplante Ausrufung des Staates Palästina waren. Eine Antwort darauf hat die Netanjahu-Regierung nicht.
JERUSALEM taz | Ermutigt von den Demonstrationen in den Nachbarländern und mit Blick auf die bevorstehende Staatsausrufung im September treibt es die Palästinenser wieder in Massen auf die Straße. Von einer "neuen Energie, einer neuen Dynamik" spricht die palästinensische Abgeordnete Hannan Aschrawi. Und der frühere Außenminister Nabil Schaath frohlockt, dass die Märsche tausender Palästinenser am Sonntag nur der Anfang und weitere Proteste zu erwarten seien.
In Jerusalem wächst die nicht unbegründete Sorge vor dem September, wenn die palästinensische Führung vor der UNO die Anerkennung des Staates Palästina beantragen will - was Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am Dienstag in einem Meinungsbeitrag in der New York Times bekräftigte. Die Demonstrationen vom Wochenende, so warnt der israelische Oppositionspolitiker Schaul Mofas von der liberalen Kadima-Partei, sind die Generalprobe für die geplante einseitige Staatsausrufung.
Seit Wochen organisieren die Palästinenser über das Internet den Protest zum "Nakba"-Tag, dem Tag, mit dem sie der Flüchtlingskatastrophe gedenken. Und doch trafen die Märsche der Flüchtlinge in Syrien und Libanon Israels Sicherheitsdienste unvorbereitet.
Steckt der Iran dahinter?
Hinter den Protesten vermuten Angehörige der israelischen Sicherheitsdienste den Iran. Schmuel Gordon, Dozent für Internationale Beziehungen und Strategische Studien an der Universität Tel Aviv, hingegen glaubt, dass andere Faktoren wichtiger waren. Die demonstrierenden Menschen hätten ihre Interessen. Außerdem habe die syrische Regierung die Leute ermutigt, "um damit von den Problemen im eigenen Haus abzulenken". Sicher sei in den nächsten Wochen mit weiteren "antiisraelischen Provokationen an der Grenze" zu rechnen.
Der Einfluss des Irans, so fügt er hinzu, reiche nur bis zur Hamas. Die Erfahrung diese Woche sollte Israel eine "ernste Warnung" sein. "Israel muss darauf vorbereitet sein, dass hunderttausende Palästinenser in Richtung Tel Aviv marschieren. Da kann man nicht schießen."
Die veränderte Strategie, sollten die Palästinenser die Massenmärsche zur Methode machen, könnte für die israelische Regierung auch zum diplomatischen Problem werden. Seit Monaten gerät Israel immer stärker in die Defensive. Gabriela Shalev, ehemals Botschafterin bei der UNO, sprach diese Woche von einem "präzedenzlosen Tief". Dennoch hält Ministerpräsident Benjamin Netanjahu daran fest, den Bau in den jüdischen Siedlungen voranzutreiben. Der Siedlungsbau ist das größte Hindernis für eine Wiederaufnahme der direkten Friedensverhandlungen.
"Kopf im Sand"
"Israels Regierung steckt den Kopf in den Sand", meinte der ehemalige Verteidigungsminister Schaul Mofas diese Woche und appellierte, "die veränderte Nahost-Realität endlich wahrzunehmen". Dazu seien neue Friedensinitiativen nötig. Doch Netanjahus Rede vor der Knesset, als er am Montag seinen Friedensplan vorstellte, bot nichts davon, weshalb auch die Kadima-Vorsitzende Zipi Livni scharf über den Regierungschef urteilte.
Es gebe zwei Möglichkeiten, meinte Livni. Entweder wisse Netanjahu, was zu tun sei, er schrecke aber vor einer Realisierung zurück. Oder er wisse nicht, was zu tun sei. Anfang kommender Woche wird Netanjahu vor dem US-Kongress reden. Und schon für Donnerstag ist die mit Spannung erwartete Grundsatzrede von US-Präsident Barack Obama anberaumt.
Die Palästinenser genießen unterdessen Aufwind. Die Methode des unbewaffneten Widerstands "setzt uns nicht nur moralisch ins bessere Licht", sagt Hannan Ashrawi, "sie enthüllt außerdem die Unmoral der Besatzung". Solange die Demonstrationen friedlich bleiben, spielt die Zeit in die Hände der Palästinenser, für die es nur noch eine Hürde zu nehmen gibt: das Gelingen der Einheitsregierung. Vertreter von Hamas und Fatah beraten derzeit über die Zusammensetzung des Kabinetts.
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