Isolde Charim Knapp überm Boulevard: Das Komitee des Nationalen Parlamentarischen Gebetsfrühstücks empfängt
Es gibt ein Kinderspiel, das heißt Teekesselchen und das geht so: der eine muss sich ein Wort ausdenken, das mehrere Bedeutungen hat. Der andere muss es erraten anhand der Beschreibung, was das Wort in der ersten und was es in der zweiten Bedeutung ist. „Teekesselchen“ ist übrigens auch ein Teekesselchen: In meiner ersten Bedeutung ist es ein Gefäß für ein heißes Getränk und in meiner zweiten Bedeutung ist es ein Kinderspiel.
Auch der österreichische Kanzler spielt das gerne. Zuletzt etwa nach dem Ende eines dieser harten Lockdowns (diese lassen sich hierzulande kaum mehr zählen). Da wollte er – angesichts der Wiedereröffnung des Handels – vor einem Kaufrausch warnen: „Es geht immer wieder die Sonne auf. Es öffnen immer wieder die Geschäfte am nächsten Tag.“ Was für ein Teekesselchen! In einer ersten, also wortwörtlichen Bedeutung meint es ein Naturereignis. Das ist doppelt raffiniert. Denn damit wird das Einkaufen dem Sonnenaufgang gleichgestellt: Beides Naturereignisse!
Oder wollte uns der Kanzler in einer dialektischen Volte sagen, dass Einkaufen uns zur zweiten Natur geworden ist? Tatsächlich ist es wohl eher eine Mystifizierung, wie Marx das genannt hat. Eine Mystifizierung, die ein gesellschaftliches Verhältnis mit einem natürlichen Ding verwechselt. Damit wird dieses zu etwas ebenso Notwendigem wie Selbstverständlichem wie auch Unabänderlichem.
Aber zurück zum Teekesselchen. In seiner zweiten, übertragenen Bedeutung wird der Sonnenaufgang zum Sinnbild: Der Sonnenaufgang als Metapher für die neue Zeit, die Zeit der Hoffnung, die nun ausbricht. Ja, hier findet es sich wunderbar gebündelt: das Messianische des Einkaufens. Die Erlösung, die es bringt. Noch akzentuierter findet sich das in den Aufrufen zum „patriotischen Einkaufen“, die das Messianische konkret verorten. (Auch wenn diese Appelle den Widerspruch zwischen coronabedingter Vorsicht und patriotischer Pflicht nicht ganz auf die Reihe bekommen.)
Eine solche Verbindung von Politik und Religion im Fetischismus der Ware mit deren „theologischen Mucken“ wird in dieser Adventszeit nur noch dort überboten, wo diese Verbindung direkt, offen, ohne Mystifizierung also vonstatten geht. Deshalb hat der österreichische Parlamentspräsident – ein Typus, wie er wohl nur im Alpenland zu finden ist – zu einer Gebetsstunde geladen. Gemeinsam mit dem „Komitee des Nationalen Parlamentarischen Gebetsfrühstücks“. (Kein Witz. Einen solchen Namen kann man sich nicht ausdenken.) Das mit der Trennung von Staat und Religion nimmt man hierzulande nicht so ernst. Da wird gleich im Parlament gebetet. Es ist ja Advent.
Dorthin geladen waren unter anderem ultrakonservative Katholiken und Vertreter einer jugendmissionarischen, nahezu evangelikalen Bewegung. Der Spuk im Parlament fand am 8. Dezember statt – zur Feier der „unbefleckten Empfängnis Mariä“. Just am selben Tag wie die oben genannte Handelsauferstehung. Bei Letzterer blieb der Rausch jedoch aus. Ist die österreichische Gesellschaft doch aufgeklärter als ihre politischen Vertreter?
Bevor Sie jetzt aber alle Ihre Vorurteile gegen Katholiken bestätigt sehen, muss man hinzufügen: In Sachen Religion und Politik übertrifft Trump immer noch alle. Bei seiner ersten Kundgebung nach der Wahlniederlage und vor den Senatswahlen in Georgia meinte er warnend: Mit den Demokraten gäbe es „kein Öl, keine Waffen, keinen Gott“. Theologisch mag das nicht ganz wasserdicht sein. Meint Trump, die Demokraten würden alles in einem Aufwasch abschaffen? Aber als Slogan ist das unschlagbar. Ein ganzes politisches Programm, gebündelt auf das Wesentliche. Wobei noch offen bleibt, ob das auch eine Äquivalenz benennt – in der Öl und Waffen für Gott stehen. Aber während man noch dem Gedanken nachhing, fügte Trump hinzu: Ferner gäbe es mit den Demokraten auch „keine Jobs, keine Grenzen und – kein Weihnachten“.
Die Autorin ist freie Publizistin und lebt in Wien.
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