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Isolation und Wellenreiten

Die vielleicht tragischste Figur des Pop: Brian Wilson im CCH  ■ Von Alexander Diehl

Am Anfang der Geschichte steht, als sei sie ein psychoanalytischer Wartezimmerwitz, der Name des Vaters. Der kalifornische Vorortbewohner, Gelegenheitsklempner und Nebenberufssongschreiber Murray Wilson war es, so ein kanonisierter Gründungsmythos, welcher der wohl bedeutends-ten (weißen) US-amerikanischen Popband des 20. Jahrhunderts ihren Namen bescherte: The Beach Boys Seine Söhne Dennis, Carl und Brian hatten mit ihrem Cousin Mike Love und einem Footballteam-Kollegen, Al Jardine, eine Band, gleichermaßen beeinflusst vom Rock'n'Roll wie von den ausgefeilten Gesangsarrangements der Doo-Wop-Gruppen der 50er Jahre. 1961 erschien ihre erste Single „Surfin'“ wurde vom Majorlabel Capitol lizensiert, und über Nacht waren aus den Pendletones die Beach Boys geworden. Von den drei Wilson-Brüdern machte sich dabei übrigens einzig Schlagzeuger Dennis auch tatsächlich etwas aus dem Wellenreiten. Ein Marketingmanöver, das sich die zeitgenössische Popularität von Surfen, Strand und Sonne zunutze machen wollte – und eben nicht zuletzt die Idee Murray Wilsons. Der kompensierte die Verbitterung über den mäßigen eigenen Erfolg als Komponist durch Einmischung in die Belange seiner Söhne, insbesondere Brians, der Bass spielte und der Haupt-songwriter der Beach Boys war. Murray Wilsons väterliche Kunstgriffe schwankten dabei zwischen der Anwendung teils recht fuchsigen Management-Know-hows und regelmäßigen Verdreschen des kreativ überlegenen Sohnes.

Nach dem Erfolg ihres Debütalbums, Surfin Safari, veröffentlichte die Band rasch diverse ähnlich gelagerte Singles um Surfen, Wellen oder auch Sportwagen und hatte 1963 bereits drei Alben und ebensoviele Top-10-Hits gelandet. Zunehmend kümmerte sich Brian um Produktion und Gesamterscheinung der Musik der Beach Boys und beschloss 1965, sich ganz ins Studio zurückzuziehen, um dort zunehmend Vielschichtigeres zu ersinnen, das die extrem erfolgreiche Band dann auf Bühnen im ganzen Land und später in der halben Welt trug. Hatte er dabei anfangs den produktionstechnischen Stand der Dinge in Gestalt von Phil Spector und dessen „Wall of Sound“ zu übertrumpfen gesucht, entstand auch durch die Beatles Inspiration wie Konkurrenz. Deren Rubber Soul erschien 1965 und stachelte den gerade mal 23-Jährigen an, sein zentrales Werk anzugehen: das Album Pet Sounds. Später einhellig als vielleicht bedeutendstes Pop-Album überhaupt angesehen, war seine Rezeption bei Fertigstellung 1966 kontrovers: Erstmals erzielte ein Beach Boys-Album keine goldträchtigen Verkaufszahlen, und die anderen Bandmitglieder bemängelten, Brian habe das gut funktionierende Konzept Strandromantik zugunsten künstlerischer Ambitionen verlassen. Im Mutterland der Beatles indes wurde das Album zum besten des Jahres gekürt – und die Beach Boys landeten im New Musical Express vor den Liverpooler Konkurrenten. Die Beatles übrigens, so geht die wohl bekannteste Anekdote um das Verhältnis der Bands, sahen sich durch Pet Sounds zu Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band herausgefordert. Brian Wilsons Replik darauf wiederum sollte 1967 Smile heißen, wurde nie fertig gestellt und mündete stattdessen in der ungewohnt rudimentären Platte Smiley Smile.

Die offizielle Beach Boys-Geschichtsschreibung zwischen Rockgazette und Lebensbeichte siedelt in diesem Zeitraum den Höhepunkt von Wilsons Kreativität an: Den folgenden Veröffentlichungender Band attestiert man allenfalls Zeichen der Konsolidierung, wenn nicht des Verfalls. Spätestens angesichts des spezifisch kalifornischen Auslebens von Drogenpsychedelik und sonstigen Exotismen gerieten die immer vergleichsweise staatstragend und – nicht zuletzt – idealtypisch amerikanisch wirkenden Beach Boys ins Hintertreffen bei der entscheidenden jugendlichen Zielgruppe. Diverse amtierende und ehemalige US-Präsidenten halten dagegen bis heute große Stücke auf Brian Wilson und die Beach Boys.

Glaubt man ihm selbst, waren die nächsten Jahre (oder Jahrzehnte?) für Wilson eine Mischung aus Psychose und Drogenrausch, Gewichtszunahme, Isolation und Kreativitätsstau. In den 70er Jahren produzierte die Band nach Label- und Besetzungswechseln zwar weiterhin Alben, von denen aber keines an alte Erfolge heranreichte. Es folgten nahezu alle Aspekte einer klischierten Rockmusikerbiographie – Gurus, Serienmörder und Drogen, Entzug, Rückfall und schließlich Therapie. Dennis Wilson starb Anfang der 80er, wobei beträchtliche Mengen Kokain und ein Swimming Pool eine Rolle spielten. Brian geriet – oder rettete sich – in die Hände eines später in ein äußerst dubioses Licht geratenen Psychiaters, um dessen möglicherweise nicht uneigennützige Rolle bei der Therapie des prominenten Patienten bis heute widersprüchliche Auffassungen herrschen.

Seit den späten 80er Jahren zeigte sich Wilson wieder als arbeitsfähig, es erschienen Soloalben und Zusammenarbeiten, etwa mit dem Sänger, Komponisten und Arrangeur Van Dyke Parks. Und im Jahr 2000 begann er schließlich mit einem Projekt, dessen Ausläufer ihn jetzt zu seinem ersten – und wahrscheinlich letzten – Konzert vor hamburgischem Publikum führen. Er umgab sich mit einer bis zu 13-köpfigen Band solider Backing- und Studiomusiker und begann Konzertprogramme mit Stücken aus verschiedenen Schaffensperioden zusammenzustellen. So spielt Wilson sowohl „Pet Sounds“ wie auch „Surfer Girl“ oder „Barbara Ann“. Wie sich inzwischen auf Doppel-CD nachhören lässt, haben die Arrangements und ihre Ausführung zwar nur noch bedingt mit dem zu tun, was seit Jahrzehnten Menschen nach Beach Boys-Best-Of-Samplern greifen lässt. Aber die vielleicht tragischste Figur der Popgeschichte noch mal live sehen zu können, das ist doch auch was.

Dienstag, 20 Uhr, CCH

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