piwik no script img

Ismail Ismail Im AugenblickEin Wiedersehen in Hannover

Ismail Ismail pendelt zwischen Oldenburg und Hannover, wo er sich auf sein Studium vorbereitet. Was ihm unterwegs widerfährt und wem er begegnet, schreibt er hier auf.

Die Welt ist sehr klein. Jetzt habe ich meinen Freund Bahzad Dawoud in Hannover getroffen. Bahzad, mit dem ich sieben Jahre lang in Syrien in einer kurdischen Folklore-Gruppe gespielt – und den ich seit 2011 nicht mehr gesehen hatte.

Einmal hatte er 2006 in Kamishly, als die Regierung politische und unpolitische Aktivisten verfolgt und inhaftiert hat, wenn sie nur die geringste Gefahr spürte, allein ein Theaterstück aufgeführt. Im Stück ging es um „Das Kino von Amudê“: Am 13. November 1960 mussten die Schulkinder in Amudê, einer kleinen Stadt im Nordosten Syriens, aus Solidarität Geld spenden und im Kino einen Film über die Revolution in Algerien gucken.

Das Kinohaus war alt wie die Ewigkeit. Die Kinder müssen so dicht aneinander gesessen haben, dass sie wie ein Block lauter menschlicher Körper geworden waren. Alle Augen starrten auf die Leinwand. Nach kurzer Zeit kam die Helligkeit im Saal allerdings nicht mehr vom Projektor, sondern vom Feuer. Das Kino war angezündet und die Türen von der Polizei verriegelt worden. Die Kinder mussten Algerien nicht nur mit Geld, sondern auch mit ihren verbrannten Körpern unterstützen. Diese in der Erinnerung der Kurden verankerte Geschichte hatte Bahzad Dawoud 2006 als Soloperformance präsentiert. Wir waren über 3.000 ZuschauerInnen und hörten das Schreien der Kinder und mussten mit ihm weinen.

„Suchen. Finden. Verlieren.“ ist das erste Theaterstück, das er in Hannover in der Hinterbühne und im Kulturzentrum Faust aufgeführt hat. Um mehr über seine Arbeit zu erfahren, habe ich ihn interviewt:

Bahzad! Welche Schwierigkeiten hattet ihr in Syrien bei eurer Arbeit?

Bahzad Dawoud: Die Größte war, überhaupt etwas tun zu können: Wir mussten uns vor der Polizei verstecken, uns mit schlechten Bedingungen zurecht finden und mit fehlenden Equipments viel schaffen. Wir durften unsere Arbeit nicht in Kulturhäusern präsentieren, da die Regierung das was wir machten als verbrecherisch empfand. Die wenigen Male, bei denen wir ein kleines bisschen unserer Ideen umsetzen konnten, hatten zur Folge, dass wir von Polizei und Geheimdienst verfolgt wurden. Diejenigen, die durch ihr Theater etwas Politisches präsentierten, mussten damit rechnen, inhaftiert zu werden. Obwohl die Haft nur ein paar Tage gedauert hätte, haben wir nach der Aufführungen erstmal nicht zu Hause geschlafen. Denn ein paar Tage Haft in Syrien gleichen einem Jahr in einem demokratischen Land.

Wie meinst du das?

Von Entwürdigung über Erniedrigung bis zu Folter – all das hat man in syrischer Haft erlebt. Das führte dazu, dass die Mehrheit der SchauspielerInnen politisch engagiert war. Sie wussten, wie groß das Leid ihres Volkes ist. Deswegen haben sie trotz aller Schwierigkeiten weitergearbeitet, um ihren Mitmenschen zu helfen, die eigene Situation zu verbessern.

Wie fühlt es sich an, etwas in Deutschland aufzuführen?

Die ZuschauerInnen wollen ein positives Bild von Deutschland zeigen

In Syrien wollten wir mit unseren Theateraufführungen erreichen, dass die Menschen die Geschichte Kurdistans und was den Kurden an Unterdrückung passierte, nicht vergessen. Ich möchte hier das Gleiche tun.

Verstehen die deutschen ZuschauerInnen die Botschaft?

Ja, auch wenn sie dich mehr als Geflüchteten wahrnehmen, der hier Hilfe und Unterkunft sucht. Meines Erachtens wollen die Zuschauer­Innen ein positives Bild von Deutschland zeigen, in dem sie Bereitschaft zu helfen zeigen, sie wollen aber auch sehen, was ein Fremder anzubieten, zu berichten hat. In unserem Stück haben wir den Fokus auf die Unterschiede zwischen den Kulturen gesetzt, was Frauenrechte oder den Umgang mit Liebe angeht. Wenn bei uns die Familie oder die Leute mitbekamen, dass jemand ein Paar war, war das eine Katastrophe. Wir wollten klar machen: wenn ich die gleichen Möglichkeiten und Chancen wie du bekommen hätte, wäre ich dir ähnlich. Wir haben im Stück Altes mit Neuem verbunden: Es geht um die Geschichte von zwei Königen, einem Vater und seinem Sohn. Der Vater tötet seinen Sohn, ohne zu wissen, dass er sein Sohn ist. Es geht ums Ich, um Egoismus, und wie der nur Krieg und Zerstörung mit sich bringt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen