Islamrat-Vorsitzender: "Es ist einfacher, ein AKW zu bauen, als eine Moschee"
Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrats, ist einer der umstrittensten Teilnehmer der Islamkonferenz. Warum er zwar zum Dialog bereit ist, sich aber nicht auf eine deutsche Werteordnung einigen will.
Ali Kizilkaya wurde 1963 im türkischen Kayseri geboren und lebt seit 1972 in Deutschland. Nach Jahren der Dialogarbeit in Moscheegemeinden begann er Mitte der Neunzigerjahre in der deutschen Zentrale der Milli Görüs (IGMG) in Köln zu arbeiten, die von mehreren Verfassungsschutzämtern als extremistisch eingestuft wird. Milli Görüs wird vorgeworfen, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu sein. Seit 2002 sitzt Kizilkaya dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland mit Sitz in Köln vor, dem größten muslimischen Dachverband mit etwa 140.000 Mitgliedern. Der Islamrat ist einer der umstrittensten Teilnehmer an Innenminister Wolfgang Schäubles (CDU) Islamkonferenz, weil Milli Görüs Mitglied des Islamrats ist.
taz: Herr Kizilkaya, wo verstecken Sie Ihren Sprengstoff?
Ali Kizilkaya: Um Gottes willen, so etwas besitzt ein aufrichtiger Muslim nicht.
Haben Sie eigentlich mehrere Nebenfrauen?
Nein, ich habe nur eine Frau, mit der ich sehr glücklich bin.
Aber diese eine Frau verprügeln Sie täglich?
Nein, ich verprügele sie nicht. Wir führen eine harmonische Ehe, absolut gewaltfrei.
Aber beim 11. September haben Sie sich doch insgeheim gefreut?
Nein, um Gottes willen - das war ein Schock. Es sind unschuldige Menschen gestorben. Ich konnte am Anfang gar nicht glauben, dass so etwas Unmenschliches überhaupt möglich ist.
Wie oft werden Sie eigentlich mit Klischees konfrontiert?
Leider passiert mir das täglich. Ständig wird uns Muslimen vorgeworfen, dass der Islam nicht zeitgemäß sei, unsere Religion wird oft in Frage gestellt. Es ist eine komische Erwartungshaltung, die uns entgegengebracht wird. Muslime sollen bitte so sein wie Nichtmuslime - aber dann wären sie keine Muslime mehr.
Also können Muslime in Deutschland nichts richtig machen?
Genau, wir können nur Fehler machen. Distanzieren sie sich von Gewalt, reicht es nicht. Demonstrieren sie gegen Gewalt, ist es auch nicht genug. Wenn wir uns integrieren, wird direkt eine Assimilation erwartet. Aber eine Assimilation widerspricht dem Grundgesetz. Denn dieses sieht Vielfalt vor. Bei den Muslimen aber bitte will man keine Vielfalt sehen.
Übertreiben Sie nicht etwas? Das hört sich nach einer mittelalterlichen Hexenjagd an.
Ich kann es anhand unzähliger Beispiele weiter zeigen. Man hat doch teilweise das Gefühl, dass es heute einfacher ist, ein Atomkraftwerk in Deutschland zu bauen, als eine Moschee. Die Protestaktionen haben bedenkliche Formen angenommen. Das jüngste Beispiel ist die Diskussion über den Moscheebau in Köln. Obwohl Moscheen auch Orte der Begegnung und der Integration sind.
Die Menschen sind verunsichert. Sobald jemand öffentlich den Islam kritisiert - jüngstes Beispiel ist Ralph Giordano - bekommt er Morddrohungen.
Nicht jede Drohung ist islamisch motiviert. Außerdem widerspricht Gewalt dem Koran und ist damit ein Hineinpfuschen in das Handwerk des Herrn. Man darf für vereinzelte Drohungen - die ich verurteile- nicht alle Muslime in Haftung nehmen. Auch wir bekommen Drohungen, aber das interessiert die Gesellschaft kaum. Dafür legt sie jedes Wort auf die Goldwaage, ständig lesen Kritiker zwischen den Zeilen der Verlautbarungen. Was ist das für ein Leben? Das ständige Misstrauen führt ja zu einer Verhaltensstörung.
Woher kommt dieses Misstrauen?
Eine Erklärung ist sicherlich, dass man sich offensichtlich noch nicht richtig kennt.
Nach 50 Jahren Einwanderung?
Schauen Sie sich doch die Islamkonferenz an. Seit knapp 50 Jahren leben wir in Deutschland, und erst jetzt wird ein Dialog begonnen. Die Gesellschaft und die Politik haben sich bisher nicht für uns interessiert.
Vielleicht interessieren sich die Muslime nicht für die Gesellschaft? Menschen leben seit Jahrzehnten hier, sprechen aber kaum die Sprache und halten sich in ihrer Parallelwelt auf.
Die Ursachen sind soziologischer und nicht religiöser Natur. Die Generation der Gastarbeiter war keine Gruppe Intellektueller. Es waren einfache Leute, die nicht hierbleiben wollten und sich deswegen zunächst nicht für die Dauer eingerichtet haben. Den Migranten wurde erst Ende der Achtziger bewusst, dass sie bleiben würden. Und versäumtes kann man nicht so schnell nachholen. Da muss sich auch die Politik fragen, was sie den Migranten angeboten hat. Die Angebote waren wohl eher spärlich. Ich weiß von nichts. Erst in letzter Zeit höre ich nur Forderungen, bekomme aber keine Förderung.
Ist es nicht zu einfach, der Politik die Schuld zuzuschieben?
Wir sind doch als Arbeitsemigranten nach Deutschland gekommen, nicht als Studenten. Die Menschen waren körperlich hier, aber geistig in ihrer Heimat. Das war der Fehler, aber so war die damalige Wahrnehmung. Es war keine bewusste Abschottung, es war die Hilflosigkeit. Es war die Sehnsucht nach der Heimat.
Wo ist Ihre Heimat?
Meine Heimat ist Deutschland, aber ich habe nicht immer das Gefühl, dass meine Heimat mich liebt.
Sie sind 1972 gemeinsam mit Ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Zur selben Zeit kamen auch meine Eltern hier am Frankfurter Flughafen an. Das Erste, was meine Mutter in Deutschland beeindruckte, war Nussschokolade. Was hat Sie beeindruckt?
Meine Sprachlosigkeit hat mich negativ beeindruckt. Denn es war das erste Mal, dass ich nichts verstanden habe und mich auch nicht mitteilen konnte.
Waren Ihre Eltern religiös?
Meine Eltern waren gläubige Muslime, aber nicht praktizierend. Wir gingen manchmal in die Moschee, haben aber nicht fünfmal am Tag gebetet.
Hat der Glaube Sie gefunden, oder haben Sie diesen entdeckt?
Durch die gelegentlichen Moscheebesuche mit meinen Eltern habe ich die Moschee lieben gelernt. Je mehr ich über den Islam lernte, desto überzeugter wurde ich, desto konsequenter habe ich geglaubt. Irgendwann habe ich angefangen, fünfmal am Tag zu beten, so wie es der Islam vorschreibt.
Woran denken Sie, wenn Sie beten?
Ich denke daran, dass ich vor meinem Schöpfer stehe und ihm über meine guten und schlechten Taten Rechenschaft ablegen muss. Dabei werde ich immer wieder daran erinnert, gutes für die Schöpfung zu tun.
Fünfmal am Tag Rechenschaft ablegen - das hört sich anstrengend an.
Wenn man kein schlechtes Gewissen hat, wenn man sich bemüht, ein guter Mensch zu sein, warum soll es dann anstrengend sein?
Sie waren Generalsekretär bei Milli Görüs, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Deswegen wird Ihnen auch ein gewisser Fundamentalismus unterstellt. Zu Recht?
Die Beobachtung von Milli Görüs schadet der Integration. Milli Görüs ist weder verfassungsfeindlich noch gewaltbefürwortend. Im Gegenteil, sie ist eine Religionsgemeinschaft, die sehr viel für die Integration tut. Das Einstellen der Beobachtung würde die Integration fördern.
Aber es wurden antisemitische Schriften bei Milli-Görüs-nahen Moscheen gefunden?
Es haben sich in der Vergangenheit leider sporadisch Schriften eingeschlichen, die die IGMG nicht billigt. Diese wurden aber sofort rausgenommen. Milli Görüs lehnt Antisemitismus ab, denn Antisemitismus ist Rassismus. Und ist mit dem Islam nicht vereinbar.
Sie sind ein gläubiger Mensch. Wo setzen Sie Ihre Grenzen zum Fundamentalismus?
Mit diesem Begriff kann ich nicht viel anfangen.
Ihr Stellvertreter Abu Bakr Rieger ist zurückgetreten, weil ein Video mit antisemitischen Aussagen erschienen ist. Wussten Sie von Riegers Meinung?
Nein, davon wusste ich nichts. Er hat sich für die Äußerungen von 1993 entschuldigt. Und vertritt diese Meinung nicht.
Ist Herr Rieger aus freien Stücken gegangen?
Wir haben gemeinsam diskutiert. Herr Rieger hat verantwortungsbewusst gehandelt und seinen Rücktritt erklärt. Ich habe Respekt vor seiner Entscheidung.
Die Islamkritikerin Necla Kelek wirft Ihnen vor, einen Glauben zu leben, den der Prophet Mohammed im siebten Jahrhundert gelebt hat.
Frau Kelek unterstellt mir, dass ich irgendwo und irgendwann verlangt hätte, dass alle Muslime nach Gottes Gesetzen leben sollen. Das habe ich nirgends gesagt. Ich bin ein gläubiger Mensch und setzte mich dafür ein, dass Menschen sich im Rahmen des Grundgesetzes zu ihrem Glauben bekennen können.
"Grundgesetz" ist ein gutes Stichwort. Immerhin gelang es dem Koordinierungsrat nicht, sich bei der Islamkonferenz auf die deutsche Werteordnung zu einigen.
Wir haben bei der Islamkonferenz immer betont, dass das Grundgesetz für uns alle in diesem Land lebende Bürger der Maßstab ist. Auch die sogenannte deutsche Werteordnung muss sich an diesem Maßstab messen lassen. Zudem konnte uns niemand die Frage beantworten, was unter dem Begriff "deutsche Werteordnung" zu verstehen ist und warum man zusätzlich zu den Verfassungswerten weitere Kriterien benötigt.
Ali Toprak, Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde, wirft Ihnen vor, Sie hätten ihn unmittelbar nach der Islamkonferenz verbal angegriffen? Was ist an den Vorwürfen dran?
So etwas liegt mir fern, ist beleidigend und rufschädigend. Im Gegenteil: Ich behandle jeden respektvoll. Ich habe ihn in der Islamkonferenz nach seiner Selbstdefinition gefragt, und ihn darum gebeten, nicht so zu tun, als wenn er für alle Muslime sprechen würde.
Aber das können Sie ja auch nicht für sich in Anspruch nehmen.
Das mache ich auch nicht. Aber als Islamratsvorsitzender vertrete ich schon eine große Anzahl von Muslimen. Außerdem gehe ich davon aus, dass ich viele Sympathisanten habe. Fremde, nichtorganisierte Muslime auf der Straße sprechen mich an und möchten, dass ich mich für ihre Belange einsetze. Dass zeigt mir, dass diese Menschen in mir einen Vertreter sehen, der sich für sie einsetzt.
Um noch mal auf Herrn Toprak zurückzukommen. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen Sie, lügt er?
Es stimmt einfach nicht. Außerdem habe ich so etwas nicht nötig. Ich bin eine Person des öffentlichen Lebens.
Lügt Herr Toprak?
Es ist nicht wahr. Für manche Teilnehmer und Frau Kelek ist es einfacher, mit dem Strom zu schwimmen, damit können sie nichts falsch machen. Und ganz einfach jede Forderung (ob berechtigt oder nicht) akzeptieren. So einfach könnten wir es uns auch machen, das wäre aber Assimilation. Dann wären wir nicht mehr wir.
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