Islamismus in der Provinz: Wie Bin Laden nach Prenzlau kam
Verfassungsschützer warnen vor islamistischem Terrorismus in der brandenburgischen Provinz. Die Präventionsveranstaltungen finden aber in einer Region statt, in der kaum Muslime leben.
PRENZLAU taz | Menschenleeres Hügelland hinter dem Unteruckersee. Zwei mächtige rote Kirchtürme, die alle Dächer der Stadt überragen. Eine Statistik, der zufolge in diesem Landstrich nicht einmal zwei Prozent Ausländer leben - und noch weniger Muslime. Der Mann vom Verfassungsschutz fängt die Zweifler im Publikum gleich in seiner Begrüßung ab: "Vielleicht fragen Sie sich: Islamismus - was hat das mit uns hier zu tun?" Ein prüfender Blick in den Saal, dann folgt die Antwort. "Der islamistische Terrorismus hat sich weiterentwickelt. Islamistischer Terrorismus ist nicht mehr nur ein Großstadtphänomen!"
Es ist ein Donnerstagmorgen, der Landkreis Uckermark hat zum "Regionalen Sicherheitsdialog" nach Prenzlau geladen. Im Konferenzraum zwei Treppen über der Kfz-Zulassungsstelle ist selbst die hinterste Stuhlreihe besetzt. Verwaltungsbeamte und LokalpolitikerInnen sind gekommen, die Leiterin des örtlichen Asylbewerberheims, eine Pädagogin aus der Erwachsenenbildung hat ihren Kurs mitgebracht, auch ein Polizist und zwei Bundeswehrsoldaten in Uniform sitzen im Saal. Schließlich geht es um nicht weniger als die Sicherheit Deutschlands, die neuerdings auch in der Uckermark verteidigt werden soll - der am dünnsten besiedelten Region der Republik. Das Anliegen scheint wichtig: Drei Verfassungsschützer sind aus der 175 Kilometer entfernten Landeshauptstadt Potsdam angereist und haben auch noch die Integrationsbeauftragte des Landes, Karin Weiss, mitgebracht.
Auf den gepolsterten Schwingsesseln liegt eine Broschüre aus, es ist das Begleitheft zu dem ganztägigen Anti-Islamismus-Training. "Integration, Radikalisierung und islamistischer Extremismus" steht auf dem Deckblatt, fett gedruckt ist nur eines der Schlagworte: Integration. Kein Druckfehler. Die Organisatoren wollen dem Verdacht vorbeugen, der Verfassungsschutz züchte Vorurteile gegen Muslime. Das Eröffnungsreferat hält deshalb auch kein Sicherheitsbeamter, sondern die Landesintegrationsbeauftragte, eine in Tel Aviv promovierte Philosophin mit Hochsteckfrisur. Man dürfe Islam und Islamismus nicht gleichsetzen, mahnt sie, Zuwanderer seien auch nicht per se eine Gefahr und Migranten angesichts des drohenden Fachkräftemangels auf dem Land besonders wichtig.
Der neue Feind, um den es hier geht, er ist ein Phantom. Niemand weiß, wie viele Muslime in der Uckermark leben. Es gibt keine Moschee im Landkreis, keinen islamischen Kulturverein. Der Verfassungsschutz zählte 2009 in Brandenburg 1.230 Rechtsextremisten, 600 Linksextremisten - und 50 Islamisten, aber von Letzteren vermutet die Behörde nicht einen in diesem Landkreis. Dass an diesem Donnerstag überhaupt ein Muslim im Publikum sitzt, ist Zufall. Serkan Gülfirat grinst betreten, wenn man ihn nach Glaubensbrüdern in der Region fragt. Woher soll er das wissen? Der Student der Politikwissenschaft kommt aus Berlin-Neukölln und macht gerade ein Praktikum im Hause von Karin Weiss. "Fragen Sie am Döner-Imbiss", rät der rumänischstämmige Integrationsbeauftragte der Uckermark, der auch an der Fortbildung teilnimmt. "Wir haben Muslime hier hauptsächlich als Dönerverkäufer!"
Tatsächlich steht im "Euro Imbiß" ein paar hundert Meter weiter an der B 109 ein Muslim hinter dem Tresen. Stolz berichtet Ramis Dündar, ein gebürtiger Türke, wie oft er schon die Konkurrenz in der Nachbarschaft aus dem Markt gedrängt hat. In Prenzlau ist Dündars Imbiss eine Institution, sein Geschäft läuft, trotz elf anderer Döner-Läden in der Stadt. Dündar ist Muslim, genau wie der irakische Asylbewerber, der heute für ihn das Fleisch vom Drehspieß säbelt. Doch was heißt das schon? In den nächstgelegenen Gebetsraum im 70 Kilometer entfernten Neubrandenburg schaffe er es fast nie, erzählt Dündar. "Aber im Koran steht es so: Erst sollst du arbeiten, hast du dann noch Zeit, gehst du beten in die Moschee." Er schmunzelt. Die Reihenfolge scheint ihm ganz gut zu passen.
Natürlich gebe es überall schlechte Menschen, sagt Dündar schließlich: "Aber suchst du Radikale, geh besser nach Köln oder Stuttgart!" Die Verfassungsschützer hingegen warnen: Gefährdet seien auch jene Gegenden, die absolut unverdächtig wirken. Denn die "Sauerland-Gruppe" habe ihre Anschläge ja nicht in einer Großstadt-WG geplant, sondern in einem Ferienhaus in der Provinz. Daraus folgern sie: "Es könnte auch die Uckermark treffen."
Prenzlau ist die achte Kreisstadt in Brandenburg, in der das Islamismus-Projekt stattfindet, zehn weitere Termine sollen folgen. Mit dabei sind zwei Islamismus-Fachleute des Verfassungsschutzes: die promovierte Ethnologin Silke Wolf, und ein Islamwissenschaftler, dessen Namen man nicht aufschreiben darf. Der Kollege sei ein "Top-Auswerter", seine Identität müsse deshalb geschützt werden, entschuldigt der Leiter der Veranstaltung, Heiko Homburg.
Homburg, Mitte vierzig, schwarzes Sakko, schwarzes Hemd, schwarzer Schlips, ist PR-Chef des brandenburgischen Verfassungsschutzes. "Wir verstehen uns als Demokratiedienstleister!", sagt er. Der Politologe scheint solche Sätze zu lieben. Er redet gerne draufgängerisch. Unter Verfassungsschützern ist er damit ein Exot - schließlich betrauern viele Geheimdienstler jedes Wort, das ihre Behörde verlässt, als persönlichen Verlust. Homburg ist Quereinsteiger: Nach einer Karriere in der Jungen Union Hessen arbeitete er bis 2004 als Pressesprecher des brandenburgischen CDU-Innenministers Jörg Schönbohm. Über diese Zeit schweigt Homburg allerdings heute öffentlich lieber. Schließlich irritierte er damals selbst Konservative. Mal verstieg er sich zu der Formulierung, eine vietnamesische Familie sei "vom Steuerzahler durchgefüttert" worden, mal gratulierte er der Jungen Freiheit in einem Leserbrief zu deren neuem Layout.
In Prenzlau referiert Homburg an diesem Vormittag über Demokratie und Extremismus im Allgemeinen, zitiert Immanuel Kant, Carlo Schmid, das Grundgesetz. Dann widmet sich seine Kollegin dem Islam und den Islamisten. Der Trip führt von Zossen nach Mekka, von Waziristan nach Potsdam und wieder zurück. Es geht um Mohammed und die Muslimbrüder, al-Qaida und Bin Laden. Ein Video von "Roland aus Dresden", einem Konvertiten, der im Kaftan breit sächselnd über seinen "Weg zu Allah" berichtet, provoziert ein paar Lacher im Saal. Dann rauschen wieder Diagramme, Landkarten und arabische Namen über die Wand. Einigen Zuhörern fallen im schülwarmen Konferenzraum die Lider zu.
Zum Mittagessen in der Behördenkantine gibt es Kartoffeln mit Hackfleischsoße. "Wie lange bleiben Sie noch?", fragt einer der Kursteilnehmer. Viel scheinen die Herrschaften am Tisch mit dem Thema Islamismus nicht anfangen zu können. Muslime in seiner Gegend kennt der junge Mann nicht. "Nur Zeugen Jehovas sehe ich immer mal wieder." Der Tischnachbar witzelt: "Hier in der Uckermark ist viel Platz. Da kann man sich gut verstecken!" Dann grinst er verlegen, so als wisse er nicht recht, ob sein Kommentar wirklich lustig war. "Eigentlich haben wir hier ja ganz andere Sorgen", brummt er irgendwann. "Gehen Sie mal in die Innenstadt: Da sind nur noch ältere Leute! Bald wird das hier alles betreutes Wohnen."
Nach der Mittagspause geht es schließlich auf in die neue Gefahrenzone namens Provinz. Eine Folie an der Wand beweist es: Aus allen Himmelsrichtungen könnten Islamisten jederzeit auch hier in die Weiten der Uckermark vorrücken.
Natürlich hätten sich 2007 die Menschen im sauerländischen Oberschlehdorn gewundert über die komischen Typen, die sich in einem Ferienhaus eingenistet hatten, berichtet der "Top-Auswerter" des Verfassungsschutzes. "Aber die haben gedacht: Das sind Großstädter, deshalb sind die ein bisschen merkwürdig." Solche Fehler gelte es künftig zu vermeiden. Gerade wenn Kleinstgruppen die Anschläge planten, falle das den Sicherheitsbehörden nicht so leicht auf. Deshalb sei mehr Wachsamkeit nötig. "Sie sind alle gefordert!", sagt der junge Mann an die Zuhörer gerichtet.
Vorne rechts im Saal wippt ein Mann unruhig im Sessel. Dominique John, Leiter der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Brandenburg, hat unlängst öffentlich den Sinn dieses Islamismus-Projekts in Frage gestellt. Heute ist er eingeladen, seine Meinung zu revidieren. John arbeitet selbst mit den Sicherheitsbehörden zusammen, ist um einen fairen Umgang bemüht. "Natürlich haben die Referenten sehr genau zwischen Islam und Islamisten unterschieden", sagt er höflich. "Ich glaube aber, dass so eine Veranstaltung trotzdem ein Potenzial zur Gefährlichkeit birgt." Schließlich sei Islamismus in Brandenburg anders als Rechtsextremismus keine nennenswerte Bewegung, es gebe höchstens einige Einzelfälle. Mit einem solch aufwendigen Präventionsprojekt werde daher das Bedrohungsszenario "künstlich hochgefahren", fürchtet er.
Verglichen mit dem, was andere Fachleute sagen, fällt Johns Kritik zahm aus. "Hier wird eine Verdachtskultur geschaffen", warnt der Kultur- und Sozialanthropologe Werner Schiffauer, der einzige Islamismus-Fachmann mit einem Lehrstuhl an einer Hochschule in Brandenburg. "So ein Projekt ist eine zivilgesellschaftliche Katastrophe!" Wenn der Verfassungsschutz die Bürger zu "Kleinstgeheimagenten" ausbilde, schüre er Vorurteile und schaffe eine "Kultur des Misstrauens".
"Quatsch!", entgegnet die Landesintegrationsbeauftragte. "Genau das Gegenteil ist der Fall!" Schließlich hätten viele Bürger ihr Wissen über den Islam allein aus der Bild oder dem Fernsehen, sie könnten von solchen Veranstaltungen nur profitieren. "Vorurteile brauchen wir wirklich nicht zu verbreiten", sagt Karin Weiss dann nüchtern. "Die sind doch längst da."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?