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Archiv-Artikel

Irrfahrt quer über den Pazifik

BOATPEOPLE Ein Frachter voller entkräfteter Tamilen aus Sri Lanka erreicht nach vier Monaten Kanada. Dort sind die Flüchtlinge unerwünscht

Der Minister spricht von „mutmaßlichen Menschenschmugglern und Terroristen“

VON DOMINIC JOHNSON

Wie verzweifelt müssen 490 Menschen sein, um im April in Sri Lanka ein Frachtschiff zu besteigen und darauf vier Monate lang bis nach Kanada zu fahren? Vergeblich hatten die tamilischen Flüchtlinge auf der unter thailändischer Flagge segelnden „MV Sun Sea“ versucht, erst in Thailand und dann in Australien zu landen. Sie begaben sich dann auf eine abenteuerliche Kreise quer über den gesamten Pazifik. Gestern wurde das Frachtschiff im Hafen von Victoria an Kanadas Westküste erwartet, nachdem die kanadische Küstenwache es am Mittwoch aufgespürt und dann geentert hatte.

Kanadas Medien und Behörden verorten die Flüchtlingsanlandung irgendwo zwischen Terrorangriff und Seuchenausbreitung. „Gefängnisse bereit für Hunderte tamilische Migranten“, titelt die konservative National Post, während Sicherheitsminister Vic Toews von „mutmaßlichen Menschenschmugglern und Terroristen“ redet. Andere warnen, die Flüchtlinge könnten Krankheiten einschleppen.

In Sri Lanka endete letztes Jahr ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg zwischen Regierung und der Guerillabewegung LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) der tamilischen Minderheit mit der militärischen Vernichtung der LTTE. Bei Bombardierungen von Flüchtlingsansammlungen durch die Regierungsstreitkräfte sollen Tausende tamilische Zivilisten ums Leben gekommen sein. Zahlreiche Tamilen haben seitdem versucht, aus Sri Lanka zu fliehen.

Weil Angehörige der international als Terrororganisation eingestuften LTTE sich unter Flüchtlinge mischen könnten, finden Tamilen aber nur schwer Aufnahme, besonders wenn sie auf Booten kommen, deren Eigentümer möglicherweise Verbindungen zur Tamilenguerilla haben könnten. Im Oktober 2009 war im kanadischen Victoria schon einmal ein tamilisches Flüchtlingsschiff gelandet: die „Ocean Lady“ mit 76 Passagieren. Ein Drittel davon wurde unter Terrorverdacht inhaftiert, aber inzwischen sind alle auf freiem Fuß und leben zumeist in Kanadas größter Stadt Toronto.

Sri Lankas Botschaft in Kanada hat erklärt, der Kapitän der „Sun Sea“ sei ein ehemaliges Mitglied der LTTE-Marine, der in Waffenschmuggel verwickelt gewesen sei. Kanada solle das Schiff daher genauso wie zuvor Australien gar nicht erst an Land lassen. Tamilenvertreter in Kanada haben gegen diese „Dämonisierung und Kriminalisierung“ von Tamilen protestiert und verlangt, die Schiffspassagiere sollten genau wie andere Flüchtlinge ein faires Verfahren in Kanada bekommen.

Die „Sun Sea“ ist nur 59 Meter lang und damit mit 490 Passagieren völlig überfüllt. Die meisten von ihnen, darunter zahlreiche Frauen und Kinder, sollen nach der monatelangen Reise völlig entkräftet und schwer erkrankt sein. Wie stark unter ihnen Tuberkulose grassiert, wird sich erst nach der Landung zeigen. Bereits gestern sollte die kanadische Marine sie an Land bringen und dann in Bussen und auf Fähren auf diverse Internierungszentren und gesicherte Krankenhäuser verteilen.