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Ironisch gebrochen und gewürgt

■ WOMEN IN MUSIC am Sonntag abend im Packhaus: Musiktheater von Carola Bauckholt - „Der gefaltete Blick“ - und Suchan Kinoshita - „episches Musikdrama“ über sieben Idas

Überall im Raum sind kleine Lautsprecher aufgehängt, mindestens zwanzig. Aus ihnen kommt das, was auch abgehärteten HöreInnen Neuer Musik den Angstschweiß auf die Stirn treiben kann: Diese Stimme, anderthalb Stunden lang, monoton, verschnupft und unerträglich. Schon die Textvorlage, die Suchan Kinoshita in ihrem „epischen Musikdrama“ IDA verarbeitet, ist in ihrer Absurdität schwer auszuhalten. Nach Gertrude Steins Roman hat sie eine Version erarbeitet, die in lähmender Ereignislosigkeit nicht mehr von der Stelle kommt. Die Biographie Idas ist leer, beziehungslos reihen sich Männer, blinde Hunde und diverse Heiraten aneinander. Aus dem desinteressierten Protokoll ragen einige trockene Pointen. Mein Favorit: „Es waren zwei Hunde, ein Weibchen und ein Mädchen.“ Diese Biographie und das Lähmende der Sprache finden in dem Sprecher ihre Steigerung. Mit amerikanischem Akzent, unendlich viel Zeit und scheinbar völligem Desinteresse am Text verliest er ihn. Der immergleiche Tonfall stellt keine Fragen, über

geht Punkt und Komma. Zäsuren treten nur dann ein, wenn der Sprecher sich verlesen hat oder sich räuspert, das bleibt alles stehen.

Dazu agieren sieben Darstellerinnen als Ida, einander weitgehend ähnlich gemacht. Alle tragen die gleiche Schwarzhaarperücke, zu Beginn Kleider aus Packpapier, die später gegen betont altbackene ausgetauscht werden. Die wechseln sie dann mehrfach untereinander aus, und ein Brautkleid mit Wildschweinkopf tritt auf, um gleich wieder einem schwarzen Gewand zu weichen.

Die gleichen ironischen Brechungen wie im Text gibt es auch auf der musikalischen Ebene. Ein zwischen Barmixer und Tanzmusiker kostümierter Mann am Synthesizer spielt und singt als Unterbrechungen einige schräge „Ida„-Lieder in meist infantilem Tonfall, oder er murmelt in periodischen Abständen ein ungläubiges „komisch“ in seinen Bart.

Der Programmzettel setzt eine schlechte Tradition der Neuen Musik fort: Die, daß Werkerläuterungen oft noch rätselhafter sind als die Werke selbst. Habe

ich die Erklärungen zu Carola Bauckholts szenischer Kantate „Der gefaltete Blick“ richtig gedeutet, so ist ihr Thema, einen Konflikt, wie er im Innern einer Person verborgen bleibt, als nach außen gewendeten Dialog zweier Personen darzustellen. Die dort angeführte Szene der beiden Protagonisten, das nach innen gewendete Sprechen mit geschlossenem Mund, wurde von den ZuhörerInnen als Würgen am Eßtisch gedeutet und löste Erheiterung aus.

Dem von der Werkerläuterung unberührten sinnlichen Aufnehmen der Kantate boten sich viele faszinierende Details. Das lag vor allem an der Kontratenor-Stimme von David Cordier, der sich auch von der unmöglich trockenen Packhaus-Akustik nicht den Glanz nehmen ließ. Zusammen mit den hell sirrenden Flageolett-Tönen des Cellos (Caspar Johann Walter) und den harten, desillusionierenden Einwürfen des Sprechers (Ulrich Kisters) formte er am Beginn und Ende des Werkes Klänge, deren archaischer, klagender Ton mir in Erinnerung bleiben wird.

Axel Weidenfeld

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