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Irischer „Thatcherismus“

Mit massiven Ausgabenkürzungen und Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst sollen die irischen Staatsschulden abgebaut werden / Kürzungen treffen vor allem das Gesundheitswesen und das Schulsystem  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die Tür läßt sich nur einen Spaltbreit öffnen. Von drinnen ruft jemand: „Moment bitte!“ Dann hört man Stühlescharren. Nach einer Weile öffnet Marion Burke die Tür und läßt mich herein. Marion ist Lehrerin an einer Projektschule in Nord-Dublin, einer von sechs irischen Grundschulen, die durch Elterninitiative vor sieben Jahren gegründet wurde und von einem demokratisch gewählten Gremium geleitet wird. Ihr Klassenzimmer ist hoffnungslos überfüllt. In dem kaum 35 Quadratmeter großen Raum drängeln sich 43 Kinder. Die Luft ist zum Schneiden.

Um die Tür zu öffnen, müssen acht Kinder aufstehen und ihre Stühle und den Tisch beiseite räumen. Marion erklärt: „Wir sind als staatlich anerkannte Schule genauso von den Sparplänen der Regierung betroffen wie die katholischen Grundschulen. Heute haben die meisten irischen Grundschulen eine Lehrerin oder einen Lehrer zuhause gelassen und deren Klassen aufgeteilt. Mit dieser Aktion wollen wir die Auswirkungen der Haushaltskürzungen im Bildungsbereich auf die Klassenstärken demonstrieren, damit sich die Eltern selbst ein Bild machen können.“

Die irische Regierung hatte bereits im November letzten Jahres das „Circular 20/87“ veröffentlicht, wonach im Bildungsbereich eine Viertelmilliarde Mark eingespart werden soll. Dieses Ziel soll vor allem durch Frühpensionierungen und Einstellungsstopp, aber auch durch Entlassungen erreicht werden. Dadurch würde die durchschnittliche Klassenstärke – schon jetzt die bei weitem höchste in Westeuropa – auf über 40 Kinder ansteigen. Bis zu 2.500 LehrerInnen würden arbeitslos werden.

Doch die irische Regierung war völlig unvorbereitet auf die Intensität der Protestwelle, die landesweit um sich griff. Gewerkschaften, Eltern und sogar die katholische Kirche (in deren Hand sich über 90 Prozent der Grundschulen befinden) organisierten Demonstrationen und Elternversammlungen in einer Größenordnung, die die irische Minderheitsregierung von Fianna Fail (“Soldaten des Schicksals“) zum Einlenken zwang: Das Inkrafttreten des „Circular 20/87“ wurde vom 1. Januar auf Juni dieses Jahres verschoben. Die Hoffnung, die dahintersteckt, ist klar. Der Protest gegen die Kürzungen würde so kurz vor den Sommerferien verebben.

Doch hier hat sich die Regierung gründlich verrechnet. Die Vertagung hat keinen Eindruck auf die Betroffenen gemacht; nach wie vor finden pausenlos Demonstrationen vor dem Erziehungsministerium statt, und Abgeordnete werden täglich mit Anrufen erboster Eltern bombardiert.

Die Grundschulen hatten Listen mit den Privatnummern und Adressen der Abgeordneten des jeweiligen Wahlkreises an alle Eltern verteilt. Marion Burke: „Ganz abgesehen davon, daß die Unterrichtsqualität ins Bodenlose sinken würde, stellen überfüllte Klassenräume eine Todesfalle bei Bränden dar. Wir werden nicht locker lassen, bis dieses berüchtigte Circular 20/87 vom Tisch ist.“

Der Widerstand gegen die Bildungs-Kürzungen gefährdet nach Ansicht von Premierminister Haughey den Plan der „nationalen Erholung“, der mit der Vorlage des Haushaltsplans für 1988 jetzt in seine zweite Phase getreten ist. Haushaltskürzungen von 1,2 Milliarden Mark sollen dafür sorgen, daß die Staatsausgaben zum erstenmal seit 30 Jahren fallen werden, real um über fünf Prozent. Die Neuverschuldung soll dadurch von gegenwärtig 10,3 Prozent des Bruttosozialprodukts auf 8,2 Prozent gesenkt werden. Die Regierung erwartet kein reales Wachstum für 1988, und selbst konservative Wirtschaftsexperten schätzen, daß die Zahl der Arbeitslosen (zur Zeit knapp 20 Prozent) und Emigranten (über 30.000 pro Jahr) in den nächsten zwei Jahren noch steigen wird.

So werfen die Labour Party und die Workers Party, zwei relativ unbedeutende, gemäßigt linke Parteien, der Regierung vor, daß sie ihren „Thatcherismus“ auf Kosten der schwächsten Gesellschaftsschichten durchsetzen wolle. Die drastischen Kürzungen in den Bereichen Erziehung, Gesundheit und Sozialwesen träfen die immer größer werdende Klasse der Arbeitslosen, während die Großverdiener wieder einmal ungeschoren davonkommen sollen. Dennoch sitzt Haugheys Minderheitsregierung fest im Sattel, weil sie von den beiden konservativen Oppositionsparteien seit den Wahlen im Februar 1987 unterstützt wird. Zusammen verfügen diese drei Fraktionen über 90 Prozent der Stimmen im irischen Parlament. Und die beiden „Oppositionsparteien“ denken nicht im Entferntesten daran, die Regierung zu stürzen und Neuwahlen herbeizuführen. Eine unabhängige Umfrage hat nämlich in dieser Woche ergeben, daß die Regierung Haughey dank der profillosen Kopfnicker-Politik der Opposition inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat – trotz des drastischen Haushaltsplans.

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