: „Irgendwie ist das kafkaesk“
■ BewohnerInnen des „Rollheimer„-Dorfs am Potsdamer Platz noch immer ohne Ersatzstandort / Alle BerlinerInnen zum Tag der offenen Tür mit Talkshow und Zirkusatmosphäre eingeladen
„Was soll ich machen?“ Der Handelsschullehrer Wolfgang Niederich ist ratlos. „Würde ich meinen elf Meter langen Zirkuswagen einfach irgendwo auf die Straße stellen, wäre das gegen alle Vorschriften.“ Niederich gehört zu den etwa 50 „Rollheimern“, die seit rund fünf Jahren auf einem Gelände an der Köthener Straße in ausrangierten Bauwagen, Bussen und Zirkuswagen leben. Nachdem die „Grundstücks-AG Potsdamer Platz“, der die Tiergartener Fläche gehört, im September die Dorfbewohner zur Räumung des Platzes bis zum 30. November aufforderte, sind diese jetzt am Rotieren. Aufgrund von Absagen fast aller angeschriebenen bezirklichen Grundstücksämter, der BVG und der Reichsbahn -Vermögensverwaltung ist noch immer kein Ersatzgrundstück in Sicht, und die Zeit drängt. Indes überwiegt bei den „Rollheimern“ nach wie vor der Wille, nach Umzugslösungen zu suchen, die den weiteren Zusammenhalt der dörflichen Gemeinschaft garantieren. Dazu suchen sie jetzt die Öffentlichkeit.
Für einen morgen ab 11.00 Uhr geplanten Tag der offenen Tür an der Köthener Straße kauften die Kolonisten einen großen Gemeinschaftswagen, mieteten ein Zelt, in dem ab 13.00 Uhr eine „Presse-Talkshow“ stattfinden soll, und liehen sich zur parodistischen Umrahmung des Ganzen von einem Kleinzirkus Lamas, Schafe und Kamele. Niederich zur Erklärung: „Wir hoffen nun, daß sich am Mittwoch der eine oder andere aus dem Abgeordnetenhaus oder vielleicht auch aus der Senatskanzlei blicken läßt, der eine Lösung für uns weiß.“
Die könnte nach Meinung des Lehrers beispielsweise so aussehen, „daß der Senat eine Garantie übernimmt und sagt, okay, wenn die Grundstücksgesellschaft den Platz tatsächlich einmal braucht, dann lassen wir die Leute auf ein anderes Grundstück“.
Doch die zuständige Senatskanzlei winkte schon gestern ab. „Der Senat kann für etwas, was er nicht in den Händen hält, keine Garantieerklärung abgeben.“ Statt dessen verwies man erneut auf die Zuständigkeit der Bezirke, mit denen die „Rollheimer“ wiederum nur negative Erfahrungen machten: „Von denen allen hatten wir nur Absagen - das ist irgendwie kafkaesk.“
Besonders enttäuscht sind die Dörfler in diesem Zusammenhang davon, daß ausgerechnet der alternative Kreuzberger Baustadtrat Orlowsky als einziger der angeschriebenen Baustadträte sie nicht einmal einer Antwort für würdig hielt.
thok
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen