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Archiv-Artikel

Irans Lost Generation

Christopher de Bellaigue macht das Denken des iranischen Staatspräsidenten zwar nicht tolerier-, aber doch verstehbar

VON KATAJUN AMIRPUR

Nieder mit Israel, wir machen den Staat Israel dem Erdboden gleich!

Das ist zurzeit die Lieblingsparole des iranischen Staatspräsidenten. Und die ganze Welt fragt sich erschrocken: Was treibt diesen Mann bloß an? Mit seinen antizionistischen Äußerungen hält der iranische Präsident die Welt in Atem, kaum weniger erschreckend sind seine Äußerungen über die angeblich baldige Wiederkehr des zwölften Imams. Der zwölfte Imam ist eschatologisch dem jüdischen Messias vergleichbar. Er entschwand im achten Jahrhundert in die sogenannte Verborgenheit und seither warten die Schiiten auf seine Rückkehr, jedes Jahr wird im Trauermonat an sie erinnert.

Ahmadinedschad hat sie nun angekündigt, diese Rückkehr, und zwar für die nahe Zukunft. In seinen Visionen, sagt er, habe er diese Wiederkehr gesehen. Es hört sich bestenfalls seltsam an, was ein Mensch wie Ahmadinedschad sagt und denkt.

Wer verstehen will, woher dieses Denken stammt, sollte die Studie „Im Rosengarten der Märtyrer“ von Christopher de Bellaigue lesen. Der ehemalige Iran-Korrespondent des britischen Economist hat eine faszinierende Hintergrundanalyse vorgelegt. Beispielsweise beschreibt er, mit welchen Nöten, Hoffnungen und Erwartungen die Generation, zu der Ahmadinedschad gehört, in den Krieg gezogen ist. In dem Glauben, eine gerechtere Welt zu erschaffen, hatte sie eine Revolution gemacht.

Ein Gesprächspartner erzählt Christopher de Bellaigue: „Natürlich, Chomeini! Er hatte etwas an sich, das einen ansprach. Es war unmöglich, keine Angst vor Chomeini zu haben – stellen Sie sich vor, er würde Sie anstarren, wie eine Fackel, die schwarzes Licht verbreitet.“ Bei seinem Anblick schämte man sich, die gleiche Luft zu atmen wie die Beamten des Königs der Könige. Die Leute nannten ihn Meister und warteten darauf, dass er zurückkam, ersehnten mit aller Kraft ihrer Seele seine Rückkehr aus dem Exil.

Kurz nach der Rückkehr des ersehnten Retters mussten Männer wie Ahmadinedschad das Land vor einem Aggressor schützen – vor Saddam Hussein. Ausgerüstet mit schlechten Waffen, aber viel Ideologie, schlug diese Generation den Feind zurück. Junge Menschen, die freiwillig in den Krieg zogen – falls man bei ideologisierten Jugendlichen von Freiwilligkeit sprechen kann –, ließen sich über die von den Irakern verminten Felder schicken, um den Weg für die Panzer frei zu räumen. De Bellaigue erklärt, wieso sie bereit waren, dies zu tun: Mit einem Schlüssel für das Paradies um den Hals wurden sie ausgerüstet. Als Märtyrer würden sie in den Himmel eingehen, wenn sie sterben, sagte man ihnen.

Viele Geschichten sind tragisch: die von Alavi-Tabar beispielsweise. Auch er gehört zu dieser verlorenen Generation, die eine Revolution gemacht hat, weil sie Freiheit wollte, und dann einen Krieg durchstehen musste, weil sie Freiheit wollte. Und wofür das alles? Heute blickt Alavi-Tabar auf eine mehrjährige Gefängnisstrafe zurück. Denn er hatte eine Zeitung gegründet und darin kritische Fragen über den Zustand der Islamischen Republik gestellt. Diese Republik war irgendwann nicht mehr die Republik, für die er gekämpft hatte. Ein Land, in dem jede abweichende Meinung an den Pranger gestellt wird, eine falsche Bemerkung eine Gefängnisstrafe oder gar den Tod zur Folge hat. Es ist eine enttäuschte Generation, zu der sowohl Alavi-Tabar als auch Ahmadinedschad gehören.

Allerdings sind die Gründe für ihre Enttäuschung denkbar unterschiedlich. Alavi-Tabar hielt andere Ziele der Revolution für nicht erfüllt als Ahmadinedschad. Alavi-Tabar wollte Demokratie, Ahmadinedschad dagegen trat im Wahlkampf mit der Losung an: „Wir haben diese Revolution nicht gemacht, um Demokratie einzuführen.“ Aber was man ihm wohl glauben kann, ist, dass er bis heute für ein anderes Ideal einsteht, in dessen Namen die Revolution gemacht wurde: für soziale Gerechtigkeit. Im Wahlkampf hat er sich den „Straßenkehrer des Volkes“ genannt, hat sich als einfacher Mann präsentiert gegenüber den Bonzen, die an der Revolution reich geworden sind. Dass ein System in erster Linie gerecht sein muss, ist eine urschiitische Idee. Daran knüpft Ahmadinedschad im Moment erfolgreich an. Und de Bellaigue beschreibt, woher diese Idee kommt und wie verwurzelt sie im Volke ist.

Schaurig, aber wichtig für das Verständnis iranischer Politik ist auch de Bellaigues Darstellung des Mordes an dem Politikerehepaar Forouhar – und damit wären wir wieder bei der Demokratie-Idee von Iranern wie Alavi-Tabar und bei der Zweispaltung der iranischen Gesellschaft, für die Alavi-Tabar und Ahmadinedschad als Gegenpole stehen und die de Bellaigue so einfühlsam beschreibt: Regimekritische Intellektuelle und Politiker wurden 1998 Opfer einer Mordserie, der sogenannten Kettenmorde. Diese Morde, für die – wie sich später herausstellte – eine Abteilung im Geheimdienst verantwortlich war, sollten das System destabilisieren. Zu den ersten Opfern dieser Mordserie wurden Darioush Forouhar und seine Frau Parvaneh Eskandari, zwei politische Aktivisten der „Partei des iranischen Volkes“. Der Mord an ihnen glich einer Hinrichtung. Mit über zwanzig Messerstichen in der Brust war Parvaneh Eskandari in ihrer Wohnung aufgefunden worden.

All dies beschreibt de Bellaigue mit großer Sachkenntnis. Wer den Iran besser verstehen möchte, sollte sein Buch lesen.

Christopher de Bellaigue: „Im Rosengarten der Märtyrer“. Aus dem Englischen von Sigrid Langhäuser. Beck Verlag, München 2006. 340 Seiten, 24,90 Euro