Iranischer Pop aus dem Exil: Rock mit Farsi kombiniert
Arash Sobhani begann seine Musikkarriere im Iran des Ajatollah Chomeini. Heute ist er einer der bekanntesten iranischen Popmusiker, der aus dem Exil produziert.
taz: Herr Sobhani, nachdem Sie 35 Jahre in Iran gelebt haben, sind Sie 2005 in die USA ausgewandert. Macht sich das in Ihren Texten bemerkbar?
Arash Sobhani: Den Iran verlassen zu haben hat großen Einfluss auf mein Schreiben: Das kann gut sein, aber auch schlecht. Ich habe versucht, es zu steuern, indem ich mir untersagt habe, nostalgischen Stimmungen Ausdruck zu geben, oder mir vorzumachen, ich sei noch dort. Allerdings habe ich meine Kindheit im vorrevolutionären Iran verlebt. Ich war Zeuge der Revolution. Ich habe den Irakkrieg miterlebt, die sogenannten Reformisten und schließlich die aktuelle Regierung. Das Gefühl, Teil eines iranischen Zeitraums gewesen zu sein, lässt sich nicht einfach abschütteln. Es gibt noch viel darüber zu erzählen, was in den vergangenen 30 Jahren in Iran geschehen ist. Darüber, wie falsch wir repräsentiert worden sind. Ich erzähle meine Version. Ich weiß nicht, ob Sie "Persepolis" kennen. Aber ich denke, Marjane Satrapi erzählt letztlich eine andere Version derselben Geschichte.
Sprechen wir über Ihre Version dieser Geschichte: Können Sie sich noch an den ersten Song erinnern, den Sie geschrieben haben?
Das muss etwa 1987 gewesen sein. Ich spielte in einer Band namens Tatar2. Ich erinnere mich, einige Male verhört worden zu sein, weil ich in aller Öffentlichkeit eine Gitarre trug.
Weil Sie eine Gitarre trugen?
Das Land befand sich im Krieg. Chomeini war noch am Leben, und der Iran fühlte sich schon sehr wie ein totalitäres Land an. Es gab natürlich kein Gesetz, das verbot, öffentlich Gitarren zu tragen. Aber die politische Atmosphäre vermittelte einem doch das Gefühl, etwas Falsches zu tun.
Wie hieß denn Ihr erster Song?
"Heaven, a step away". Es ging um die Kids, die einer Gehirnwäsche unterzogen wurden, um mit den berühmten Paradiesschlüsseln um den Hals an die Front geschickt zu werden.
Ein englischsprachiger Protestsong also?
Wir schrieben Stücke auf Englisch, weil wir dachten, das sei die Sprache des Rock n Roll. Bands wie Pink Floyd oder die deutsche Formation Eloy beeinflussten uns stark. Ich selbst mochte die Dire Straits sehr. Die Haltung der Islamischen Republik hat viele Jugendliche dazu getrieben, sich westlicher Musik zuzuwenden.
Wie sind Sie an die Musik damals herangekommen?
Die Beschaffung von Neuveröffentlichungen war eine heikle Aktivität. Oft fungierten Mitglieder von Flug-Crews als Schleuser für die Musikdealer. Diese gaben monatlich Listen mit den Neuzugängen raus, von denen man sich dann Tapes schicken lassen konnte. Ich erinnere mich noch, als die Polizei eines Tages einen von diesen Musikdealern hochgehen ließ und sein Archiv beschlagnahmte. Alle in der Schule waren wir furchtbar traurig. Es war wie der Brand der Bibliothek von Alexandria für uns.
Wie viele Bands gab es gegen Ende des Kriegs in Teheran?
Nicht viele. Eher einzelne Musiker, die sich gelegentlich zusammentaten, um zu jammen.
Und was war das für eine Szene?
Es herrschte große Solidarität. Wenn jemand ein neues Instrument oder Lehrvideo bekam, dann lieh er das sofort jedem aus. Es gab sogar kleine Musikgeschäfte, die darauf spezialisiert waren, alle zu versorgen. Hatte man etwas Interessantes, so brachte man es dorthin, damit es vervielfältigt und günstig verteilt werden konnte.
Chomeini sah Musik als Teufelswerk an. Was bedeutete Ihnen die Musik?
Musik war wie Morphium! Es war eine Zeit schweren Leids. Von außen wurden wir vom Irak angegriffen, und von innen wurden wir so behandelt, als seien wir nicht Teil der Gesellschaft. Wir hassten die Feinde und wollten unserem Land dabei helfen, sich zu verteidigen. Doch zur gleichen Zeit wurden wir - und damit meine ich die Mehrheit der Iraner - vom Regime unserer Rechte beraubt, gedemütigt oder liquidiert. Musik war daher ein Freiraum, in den man vor dem fliehen konnte, was man täglich erlebte: einerseits den Krieg, andererseits die Zerstörung der Gesellschaft.
1989 war der Krieg vorbei. Chomeini starb, Chamenei wurde zum Revolutionsführer, und die Ära des Präsidenten Rafsandschani begann. Wann und warum fingen Sie an, Texte auf Farsi zu schreiben?
Als die geburtenstarken Revolutionsjahrgänge langsam zu Teenies wurden, dämmerte es den Machthabern, dass sie den Jugendlichen ein Minimum an Freiheit zugestehen müssen. Da wir jede Hoffnung aufgegeben hatten, je mit englischen Texten auftreten zu dürfen, versuchten wir, Texte auf Farsi zu schreiben. Aber das war so schwer, dass wir bald lieber Instrumentalmusik probten.
Was war daran so schwer?
Farsi ist eine Sprache mit einer reichen literarischen Tradition. Texte zu schreiben, die gewisse Mindestanforderungen an ein persisches Gedicht erfüllen, zugleich aber den Zeitgeist reflektieren und mit Rockmusik funktionieren - das war nicht leicht. Insbesondere dann, wenn man jede Zeile durch die Zensur des Ershad-Ministeriums (Ministerium für Kultur und islamische Führung) boxen muss.
Und wann gelang es schließlich, auf Farsi zu schreiben?
Um 1996. Ich versuchte, so konservativ wie möglich zu klingen, um die Genehmigung für die Aufnahme und Veröffentlichung eines Rockalbums zu erhalten. Meine damalige Band hieß Raaz-e Shab. Ursprünglich wollten wir uns Esm-e Shab (Name der Nacht) nennen, doch das war ein militärisches Codewort. Also mussten wir uns umbenennen. So wurden wir zu Raaz-e Shab, was Rätsel der Nacht bedeutet.
Die Genehmigung wurde also erteilt?
Ja, wir durften tatsächlich auf eigene Kosten ein Album aufnehmen. Wir mussten immer wieder Änderungen an den Texten vornehmen und schließlich auch Leute im Ministerium bestechen, um die Veröffentlichungserlaubnis zu bekommen. Doch mir war klar, dass die Texte bestenfalls mittelmäßig waren - auch wenn die Leute sehr positiv auf unsere Musik reagierten.
Wann war das?
Als Chatami 1997 an die Macht gekommen war. Es herrschte großer Optimismus.
Wie erging es dem Underground unter Chatami?
Wir brauchten alle eine gewisse Zeit, um zu begreifen, dass die Reformer bloß eine demokratische Fata Morgana waren. Wir wollten, dass sich die Islamische Republik grundlegend verändert. Chatami hingegen wollte sie reformieren. Wie mein Lieblingsautor José Saramago schreibt, sind Reformen nichts anderes als das Minimum an Arbeit, das erforderlich ist, um den Status quo zu erhalten.
Das klingt so, als sei das Erstarken der Zivilgesellschaft unter Chatami letztlich gar nicht so spürbar gewesen
Chatami bewirkte einen Schritt vorwärts: in der öffentlichen Haltung der Menschen. Ich erinnere mich an einen Auftritt, den wir nach den Studentenprotesten vom Sommer 1999 an der Amir-Kabir-Universität hatten. Da konnte ich förmlich sehen, wie gespannt die Studenten unseren Texten lauschten. Sie suchten nach dem rebellischen Rock-Element darin. Nach dem Element, das sie dazu verleitet, "Yeah" zu sagen und zu protestieren.
Warum ging die Gruppe auseinander?
Als wir die zweite Platte aufnehmen wollten, hatte ich schon begonnen, an politischen Liedern zu arbeiten, von denen ich sicher war, dass sie niemals heil durch die Zensur kommen könnten. Ich hatte das Gefühl, endlich die Formel gefunden zu haben, um Farsi mit Rockmusik zu kombinieren und über aktuelle gesellschaftliche Themen singen zu können. Das wollte ich durchziehen.
Gab es in der Regierungszeit Chatamis mehr Bands als zuvor?
Und ob! Viele Bands kamen hoch, nahmen Platten auf und gaben kleine Konzerte. Aufgrund der Mafia in der Musikindustrie war es freilich schwer, Platten zu verkaufen. Denn kein Mensch wusste, dass es diese Bands gibt.
Wer gehört zu dieser Mafia? In letzter Zeit hört man immer wieder Gerüchte, Gruppen wie Arian, Pesarane Aftab oder Nariman würden von halboffizieller Seite unterstützt.
Heutzutage gibt es Gruppen, die sämtliche Genehmigungen binnen wenigen Tagen bekommen. Ihre CDs werden schnell und flächendeckend vertrieben, sodass man sie in den entlegensten Landesteilen kaufen kann. Merkwürdigerweise war der Produzent einiger dieser Gruppen ein enger Verwandter jener Person, die im Ershad-Ministerium die oberste Entscheidungsgewalt in diesen Dingen hatte. Der einzige Weg, erfolgreich Musik rauszubringen, besteht also letztlich darin, mit bestimmten Produzenten zu arbeiten, weil nur diese schnell die Genehmigungen erhalten, problemlos den Vertrieb steuern und schließlich auch Airplay beim staatlichen Rundfunk einfahren können.
Treten diese Gruppen auch auf?
Sie werden so protegiert, dass sie selbst in den religiösesten Käffern auftreten können. Andere werden massiv zensiert. Sagt man, Iran sei das Land mit den gebildetsten Menschen im Nahen Osten, dann muss man hinzufügen, dass all jene, die die Kluft zwischen der vergangenen kulturellen Grandezza und dem heutigen erbärmlichen Niveau überwinden könnten, nahezu keinen Zugang zur Öffentlichkeit haben.
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