Iranische Protestbewegung in Berlin: „Die Despoten setzen auf Zeit“
Der Verfassungsschutz muss den iranischen Geheimdienst in Berlin genauer beobachten, fordert die Vorsitzende des Innenausschusses, Gollaleh Ahmadi.
taz: Frau Ahmadi, mit was für einem Gefühl gehen Sie mit Blick auf die Protestbewegung im Iran in das neue Jahr?
Gollaleh Ahmadi: Ich habe gemischte Gefühle. Es ist niederschmetternd, wie versucht wird, die Protestbewegung im Iran niederzuschlagen. Todesurteile werden ausgesprochen, als gehe es nicht um Menschenleben, sondern um Falschparken.
Was ist Ihre Prognose?
wurde 1982 in Teheran geboren. 1996 flohen die Eltern mit ihr nach Deutschland. Sie hat in Magdeburg, Frankfurt/Oder und Berlin Geschichte und Kultur des Vorderen Orients sowie Politikwissenschaften studiert. Seit 2013 ist sie Mitglied der Grünen, seit 2021 Abgeordnete und Vorsitzende des parlamentarischen Innenausschusses.
Ich blicke trotzdem optimistisch in die Zukunft. Die Proteste sind ja nicht von heute auf morgen entstanden. Sie sind Ergebnis eines langen Prozesses. In den letzten 43 Jahren hat es immer wieder Protestzyklen gegeben, das letzte Mal ist zwei, drei Jahre her. Jetzt sind sie kontinuierlich. Ich höre aus dem Iran, dass es kein Zurück mehr gibt, wenn man jetzt aufhört, würde sich das Regime gestärkt fühlen. Revolution bedeutet leider auch, dass Blut fließt. Aber die Menschen wollen sich nicht mit oberflächlichen Veränderungen abspeisen lassen. Sie kämpfen für ihre Freiheit. Sie schreiben gerade feministische Weltgeschichte
Fühlen Sie sich als Teil der Solidaritätsbewegung?
Natürlich! Ich gehe demonstrieren und als Abgeordnete nutze ich die parlamentarischen Instrumente und bringe Anträge im Abgeordnetenhaus ein.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich habe mich für einen Abschiebestopp in den Iran eingesetzt. Und Anfang Dezember haben wir den Senat aufgefordert, die Aktivitäten des iranischen Geheimdienstes in Berlin genauer zu beobachten. Dass oppositionelle Journalisten, die in Deutschland leben, zum Beispiel einen besseren Schutz bekommen. Die Initiative ging von meiner Fraktion, den Grünen, aus, aber am Ende war es eine Initiative von allen demokratischen Fraktionen.
Als Grüne sind Sie Teil der Regierung, ist das eine Forderung an sich selbst?
Auch als Regierungskoalition kann man den Senat auffordern genauer hinzugucken. Was den Iran betrifft, machen wir in Berlin schon sehr viel. Innensenatorin Iris Spranger hat von sich aus entschieden, keine Menschen mehr in den Iran abzuschieben. Aber wir fordern ein Gesamtkonzept mit den anderen Bundesländern und der Bundesregierung. Oppositionelle werden hier ja auch bedroht oder fotografiert.
Ende Oktober gab es zum Beispiel den Angriff auf die Protestwache vor der iranischen Botschaft. Die Täter wurden nicht gefasst.
Die Ermittlung laufen noch. Der Angriff war ein zusätzlicher Weckruf. Die Oppositionellen aus dem Iran sind nicht sicher!
Was antwortet Innensenatorin Spranger, wenn Sie einen besseren Schutz fordern?
Im Verfassungsausschuss wurde gesagt, dass man die Demonstrationen genauer beobachtet. Konkrete Hinweise, dass bestimmte Personengruppen gefährdet sind, gebe es zurzeit aber nicht, hieß es.
Beruhigt Sie das?
Nein. Dass es keine konkreten Hinweise gibt, bedeutet beim iranischen Geheimdienst überhaupt nichts. Ich gehe eindeutig davon aus, dass er in Berlin und Deutschland tätig ist. Wäre ja nicht das erste Mal.
Sie selbst sind gebürtige Iranerin. 1996, als Ihre Eltern mit Ihnen nach Deutschland geflohen sind, waren Sie 14. Haben Sie freundschaftliche oder familiäre Verbindungen in den Iran?
Die habe ich. Aber um sie zu schützen, würde ich nicht sagen, in was für einem Verhältnis ich zu den Menschen stehe.
Haben Sie manchmal Angst, wenn Sie sich gegen das Terrorregime exponieren?
Ich bin eine deutsche Politikerin, dadurch bin ich viel mehr geschützt als andere. Der iranische Geheimdienst wird sich mehrfach überlegen, ob er mich bedroht.
Was hören Sie von anderen Demonstrantinnen und Demonstranten in Berlin, die iranischer Herkunft sind?
Ich kenne niemanden, der keine Angst hat um die Familie dort. Das läuft ja so, dass die Familie wegen der Aktivitäten in Deutschland im Iran Schwierigkeiten bekommen kann. Zum Teil werden dort Familien am Telefon bedroht: Wenn deine Verwandten in Deutschland so weitermachen, bekommst du Ärger. Aber auch das ist nichts Neues, das gab es auch früher schon.
In Berlin hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen einen Demonstranten eingeleitet, der bei einer Kundgebung „Tod Chamenei“ gerufen haben soll. Was sagen Sie dazu?
Ich hoffe, dass das Verfahren eingestellt wird. Mir ist zu Ohren gekommen, dass das in den letzten Jahren schon öfter vorgekommen ist. Im neuen Jahr werde ich eine schriftliche Anfrage einreichen, wie viele Ermittlungsverfahren gegen Oppositionelle aus dem Iran es in den letzten zehn Jahren hier in Berlin gegeben hat. Und ich möchte wissen, wie damit umgegangen worden ist.
Wie stark beschäftigen Sie die Ereignisse im Iran?
Sie sind sehr präsent. Ich stehe morgens auf und schaue sofort, was in der Nacht passiert ist. Meine Schwester und meine Eltern sind in Berlin, aber ich habe dort wie gesagt enge Bindungen. Entsprechend sind meine Sorgen auch persönliche. Die meisten Menschen aus dem Iran, die in Deutschland leben, sind aus politischen Gründen geflüchtet. Weil ihr Leben bedroht war und sie sich seit Jahrzehnten gegen das Regime aufgelehnt haben.
Sie waren bei der Flucht Jugendliche. Was erinnern Sie aus dieser Zeit?
Ich war dort in der Kita, ich bin sieben Jahre im Iran zur Schule gegangen. Das war keine einfache Zeit. Meine Erinnerungen sind immer noch mit starker Panik verbunden. Als Kind zu wissen, sobald du von den Wächtern angehalten wirst, nehmen sie vielleicht deine Eltern mit. Weil die Mama das Kopftuch nicht so getragen hat, wie es vorgeschrieben war. Das war damals genauso wie heute. Die Wächter nahmen Leute willkürlich fest, sie hatten aber auch Listen mit Namen. Meine Eltern waren Oppositionelle. Vor meiner Geburt haben sie im Untergrund gelebt und sind nur knapp der Todesstrafe entkommen. In Deutschland musste ich erst lernen, dass Polizei Sicherheit anbietet. Dass man vor der Polizei keine Angst haben muss, dass man nicht sofort mitgenommen wird.
Und heute sind Sie Vorsitzende des parlamentarischen Innenausschusses und haben dadurch besonders viel mit der Polizei zu tun. Empfinden Sie das manchmal als merkwürdig?
Überhaupt nicht, ich freue mich darüber. Natürlich gibt es einige Probleme mit der Polizei. Gerade sind ja wieder rassistische Chatgruppen innerhalb der Polizei bekannt geworden. Aber wir haben eine demokratische Kontrolle und können rechtlich dagegen vorgehen. Auch wenn die Polizei willkürlich agieren sollte, was zum Glück selten passiert. Wie bei dieser Wohnungsdurchsuchung des syrischen Ehepaars …
… Sie meinen den Vorfall, der im September durch ein Video bei Social Media bekannt geworden ist.
Ja. Wenn so etwas bekannt wird, wird dagegen auch vorgegangen. Das ist beruhigend.
Was könnten die Berliner Bevölkerung und die Landesregierung tun, um die Proteste im Iran noch mehr zu unterstützen?
Egal ob Regierung oder Bevölkerung – wir müssen darauf achten, dass die Proteste im Iran hier nicht zum alltäglichen Geschehen werden. Man darf sich daran nicht gewöhnen, genauso wenig wie an den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Despoten setzen auf Zeit. Sie rechnen damit, dass die Aufmerksamkeit nachlässt. Das darf mit dem Iran nicht passieren und das darf mit der Ukraine nicht passieren. Und auch mit Afghanistan nicht. Wenn wir das schaffen, haben wir sehr viel geschafft. Die Menschen im Iran sagen uns immer wieder: Wir sehen und hören eure Solidarität. Es sei das erste Mal, dass sie das so klar sehen können.
Frau, Leben, Freiheit – woher kommt dieser Slogan, der bei den Protesten gegen das iranische Regime derzeit weltweit gerufen wird?
Er kommt aus der kurdischen Frauen- und Freiheitsbewegung. Es geht um jede einzelne Frau. Solange das einzelne Frauenleben nicht geschützt ist, nicht sicher ist, gibt es kein Leben und keine Freiheit.
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