Irak: Schläge und Elektroschocks
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert Folter und Misshandlungen in kurdischen Gefängnissen im Nordirak.
Einen Spezialisten für Gefängnisse nennt sich Amer Ahmed mit bitterem Unterton. Er war in Iran und der Türkei in Haft, aber auch im irakischen Kurdistan. "Wirklich verbrecherisch ist, was uns unsere eigenen Leute antun." Tagelang sei er vom Asaisch, einer Art Staatsschutz, in seiner Heimatstadt Suleimania in einer kleinen Zelle in Einzelhaft festgehalten worden, sagt Ahmed. "Es war ein Loch ohne Fenster und Licht, in dem ich mich nicht mal zum Schlafen ausstrecken konnte." Was ihm die Sicherheitskräfte vorwarfen, erfuhr er nicht. Der 30-jährige Familienvater hatte gewissermaßen Glück. Einflussreiche Verwandte im Ausland intervenierten und drohten, Ahmeds Schicksal öffentlich zu machen. Nach zehn Tagen kam er frei.
Ahmeds Haft liegt schon eine Weile zurück. Doch die Zustände in den Gefängnissen im kurdischen Gebiet im Nordirak sind offenbar weiterhin katastrophal. Am Dienstag legte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) einen Bericht vor, in dem sie den beiden großen kurdischen Parteien, die die Region regieren, eine ganze Reihe von Rechtsverstößen zur Last legt. Gefangene würden von Sicherheitskräften routinemäßig gefoltert und misshandelt, sagte Sarah Leah Whitson, die Leiterin der Nahostabteilung von HRW, auf einer Pressekonferenz in der kurdischen Hauptstadt Erbil. "Wir sind überrascht, dass die Kurden, die unter Saddam selbst Opfer von Folter wurden, solche Rechtsverstöße begehen", sagte sie.
Zwischen April und Oktober 2006 besuchten Mitarbeiter von HRW zehn Haftanstalten in den drei Provinzen Dohuk, Erbil und Suleimania, die unter der Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen. Dabei sprachen sie mit mehr als 150 Gefangenen, von denen die meisten wegen ihrer angeblichen Verbindungen zu radikalen Islamistengruppen unter Terrorismusverdacht festgehalten wurden. Nur vereinzelt erhoben die Sicherheitskräfte allerdings konkrete Tatvorwürfe.
Von einigen Ausnahmen abgesehen seien die Gefängnisse völlig überbelegt, wobei oft 50 bis 60 Häftlinge in einer Zelle festgehalten würden, heißt es in dem Bericht. Gefangene hätten von systematischen Misshandlungen und Folter berichtet, sagte Whitson. Schläge mit Metall- und Holzstäben, Kabeln, aber auch Elektroschocks seien weit verbreitet. Zudem hätten Gefangene beklagt, dass sie zum Teil über Tage mit verbundenen Augen und gefesselten Händen festgehalten worden seien.
Die überwiegende Mehrheit der Häftlinge sind irakische Kurden. Daneben sitzen einige irakische Araber und Turkmenen ein, aber auch mutmaßliche Drogenschmuggler und Dschihadkämpfer aus Iran, Afghanistan, Sudan, Saudi-Arabien, Tunesien und Jordanien. Auch halten die Kurden Araber aus den sunnitischen Unruheprovinzen, aus Bagdad sowie den umstrittenen Gebieten Kirkuk, Mossul und Dijala fest. Laut den Kurden agieren sie dabei im Auftrag der USA, was diese allerdings in Abrede stellen.
In dem Bericht hebt HRW die Kooperationsbereitschaft der Kurden im Gegensatz zur Regierung in Bagdad und teilweise auch den alliierten Streitkräften hervor. Um die Missstände zu beheben, sei jedoch eine umfängliche Reform des Justiz- und Sicherheitswesens nötig, heißt es. Trotz der gemeinsamen Regierung in Erbil befindet sich der Sicherheitsapparat weiterhin unter der Kontrolle der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) oder der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) von Staatspräsident Dschalal Talabani. Ihren Parteichefs und nicht dem jeweiligen Ministerium oder gar der Kontrolle des Parlaments unterstehen besonders der Asaisch sowie die Parteigeheimdienste. Nicht viel besser sieht es bislang im kurdischen Justizwesen aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“