Irak zieht sich aus Kuwait zurück: Saddam schont die Pfeiler seiner Macht
■ In der Nacht zum Dienstag hat der Irak mit dem Rückzug seiner Truppen aus Kuwait begonnen. Saddam Hussein versucht, den Abzug als Erfolg zu verkaufen.
Freudenkundgebungen in den Straßen der irakischen Hauptstadt waren am Dienstag vormittag die Antwort der Bevölkerung Bagdads auf die gestrige Rede Saddam Husseins. Wie schon nach der Annahme des sowjetischen Friedensplans durch die Bagdader Führung feuerten viele Iraker Freudensalven in die Luft. Einmal mehr zeigt sich damit, daß in einem Land, in dem spontane Reaktionen überaus selten sind, die Bevölkerung ein Ende des mörderischen Krieges herbeisehnt.
In den letzten Tagen hatten Korrespondenten vor Ort berichtet, daß immer mehr Menschen auch offen zu verstehen gaben, daß sie den Einmarsch in Kuwait für einen Fehler hielten — ebenfalls ein Novum in einer Gesellschaft, die auf institutionalisierter Gewalt, auf Angst und Terror basiert. Diese Einschätzung läßt jedoch nicht so ohne weiteres auf eine Gegnerschaft zum Baath-Regime schließen. Nach der Ablehnung der irakischen Vorschläge und dem US-Ultimatum schien in Bagdad Konsens darüber zu herrschen, daß die alleinige Schuld für die zweite Phase des Krieges bei den USA und ihren Verbündeten liege.
Umgekehrt sollte man nicht davon ausgehen, daß Saddam Husseins Ankündigung, den Abzug aus Kuwait bis zum gestrigen Abend abzuschließen, der Stimmung in der Bevölkerung geschuldet ist. Denn auf Kritik hat der irakische Diktator noch nie anders als mit den Mitteln der Repression reagiert [wow, Insiderkenntnisse! d.K.]. Seine Motivation dürfte eher im Überleben seines Regimes, seiner Person sowie dem Bemühen liegen, sein restliches Potential und die Republikanischen Garden als eine der Stützen seines Regimes vor der völligen Vernichtung zu retten. Diese Tendenz hatte sich bereits beim Einschwenken auf die sowjetischen Friedensbemühungen herausgeschält.
Wie schon bei den militärischen Erfolgsmeldungen vom Vortag versuchte der irakische Staatschef in seiner Rundfunkansprache am Dienstag vormittag, den Rückzug aus Kuwait als Erfolg zu verkaufen. Gleichzeitig machte er deutlich, daß die irakische Führung an den grundsätzlichen Zielen ihrer bisherigen Politik festhalten will. „Liebe Brüder, ich zolle eurem Sieg Beifall“, sagte Saddam. „Ihr habt gegen dreißig Länder gestanden und gegen das Böse, das sie hierher gebracht haben. Das Gute wird über das Böse triumphieren. Tapfere Iraker, ihr habt gewonnen, ihr wart siegreich. In dieser Schlacht der Schlachten habt ihr Erfolg gehabt mit dem, was wir gesät haben.“
Kaum Änderung in der Haltung zu Kuwait
Im Hinblick auf die arabische Welt nannte Saddam Hussein den Krieg um Kuwait eine Auseinandersetzung zwischen Arm und Reich. Im Bezug auf Kuwait machte er deutlich, daß Irak auf die Forderung Washingtons nach bedingungslosem Rückzug aus Kuwait gemäß der UNO-Resolution eingehe. „Besondere Umstände haben die irakische Armee heute zum Rückzug veranlaßt, Umstände, die wir erwähnt haben, einschließlich der kollektiven Aggression von dreißig Ländern und ihrer verabscheuungswürdigen Blockade“ — so begründete der irakische Diktator die Fortsetzung des Rückzugs, der in der Nacht zum Dienstag begonnen habe und bis zum Abend abgeschlossen sein sollte.
In der grundsätzlichen Position des Irak zu Kuwait klangen auch alte Töne an: „Kuwait ist Teil unseres Landes und wurde in der Vergangenheit daraus herausgeschnitten. Heutige Umstände wollen es, daß es in dem Zustand erhalten bleibt, in dem es auch nach dem Rückzug unserer kämpfenden Truppen verbleiben wird“ — ergo nicht länger 19. Provinz des Irak ist. Saddam Hussein fügte hinzu: „Die Iraker werden sich daran erinnern. Sie werden niemals vergessen, daß es am 8. August 1990 Teil des Irak wurde — legal, verfassungsmäßig und tatsächlich.“
Bei einer solchen Argumentation ist es kein Wunder, wenn Saddam Hussein nicht ausdrücklich die Wiederherstellung der Souveränität des Scheichtums erwähnt, wie es in einer weiteren Resolution der Vereinten Nationen heißt. Auch von den geforderten Reparationszahlungen war nicht die Rede. Die USA hatten die Befolgung aller zwölf Resolutionen gefordert. Aus US-Sicht ist dies mit einem bloßen Abzug des Irak nicht erfüllt.
Der irakische Führer verzichtete in seiner Rede öffentlich auf seine bisherige Forderung, die Beilegung des Golfkonflikts müsse mit einer Lösung der Palästina-Frage verbunden werden. Aber: „Das Palästina- Problem wird zu einer anderen Zeit durch den Willen des palästinensischen Volkes gelöst werden“, sagte er. Für die Zukunft versprach er neue Erfolge: Hinsichtlich Sieg, Heldentum und Ruhm werde die Ernte dereinst noch größer sein als heute — nach den Erfahrungen von zwei Kriegen, die er mit seiner Politik innerhalb eines Jahrzehnts ausgelöst hat, eine wahrhaft düstere Perspektive.
Nächtlicher Rückzugsbefehl über Radio Bagdad
Die Rundfunkansprache Saddam Husseins erfolgte, nachdem die US- Regierung die zusätzliche Bedingung aufgestellt hatte, daß Saddam Hussein sich öffentlich und unmißverständlich über die Einhaltung der UNO-Resolutionen äußern sollte. Zuvor hatte der irakische UNO-Botschafter Abdul Amir Al Anbari dem Weltsicherheitsrat ein offizielles Angebot zum Rückzug aus Kuwait überreicht.
Um 1.35 gestern morgen unterbrach Radio Bagdad sein reguläres Programm mit der Meldung vom Rückzugsbefehl an die irakischen Truppen. Und wie es scheint, hat die irakische Führung noch in der Nacht die sowjetische Regierung darüber informiert, daß der Rückzug der irakischen Truppen aus Kuwait bereits begonnen habe. Nach einer Mitteilung des stellvertretenden sowjetischen Außenministers Alexander Belonogow hat die sowjetische Führung anschließend die Regierung der Vereinigten Staaten in Kenntnis gesetzt. Belagonow plädierte für eine sofortige Feuerpause, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Beate Seel
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