Investitionen in der Ukraine: Hightech zwischen Maisfeldern
Die Bundesregierung will privates Kapital für den Wiederaufbau mobilisieren. Der Konzern Bayer ist seit Jahren in der Ukraine und will bleiben.
Das Dörfchen ist typisch für die Region zwischen Kyjiw und Schytomyr: sanftwellige Landschaft, hier und da ein kleiner See. Die Böden sind gut und so strotzt die Vegetation zum Sommeranfang vor Kraft. Bäume und Äcker in sattem Grün. Am Straßenrand weiden Kühe und Ziegen. Auf den hölzernen Telefonmasten füttern Storchenpaare ihren Nachwuchs.
Die riesigen Bauten der Saatgutfabrik könnten kein größerer Kontrast sein. Die Fabrik gehört zu Bayer Ukraine. Der deutsche Konzern ist in der Ukraine seit vielen Jahren aktiv und mit mehreren Sparten vertreten, darunter Pharma und Landwirtschaft. Zu letzterem gehört auch die Saatgutfabrik.
2018 wurde die Fabrik eröffnet mit zwei Trockenanlagen. Nach Beginn der großangelegten Invasion entschied sich Bayer, nicht nur zu bleiben, sondern am Standort weitere 60 Millionen Euro unter anderem in eine dritte Trockenanlage zu investieren. Dazu kommen noch die Landmaschinenbasis und Luftschutzkeller für die Mitarbeiter. Es ist einer der größten einzelnen ausländische Privatinvestition seither. Inzwischen ist die Trockenanlage fertig und kann zur nächsten Ernte eingesetzt werden.
Riesiger Fön
Betritt man die Anlage, hat sie fast etwas von einem Kirchenschiff. Ein langer Gang in der Mitte, rechts und links sind mehrere Stockwerke hohe, siloartige Behälter mit Gitterboden. Nach der Ernte werden die Maiskolben eingefüllt, von unten wird warme Luft wie durch einen riesigen Fön eingepresst. Die Energie kommt aus der Biomasse übrig gebliebener Kolben. Das mache nicht nur autark, sondern spare auch CO2, erklärt Sherepitko. Die Elektrizität für den Fön komme aus dem Netz.
In dieser Saison konzentriere man sich aus Gründen der Nachfrage auf Mais. Aber die Anlage könnte auch Saatgut für andere Pflanzen wie Sonnenblumen oder Raps herstellen. Die Felder liegen in der Umgebung. In diesem Jahr sind es 3.500 Hektar. Die Transportwege sollen kurz sein. Den Bauern stellt die Fabrik die nötigen Maschinen zur Verfügung.
In diesem Jahr werden 19 verschiedene Sorten angebaut: runde und flache Körner in verschiedenen Größen und mit verschiedenen Eigenschaften. Der Schwerpunkt ist Futtermais. „Alles entspricht europäischen Standards“, sagt er. Denn gut die Hälfte des Saatguts bleibt nicht in der Ukraine, sondern wird exportiert. Im eigenen Labor wird laufend die Qualität überprüft.
Die Fabrik beschäftigt rund 120 feste Mitarbeiter:innen. Dazu kommen besonders in der Erntezeit von August bis Oktober rund 250 Saisonkräfte. Alles ist modern und sauber. Die Kantine bietet ausgewogene Kost. Die Büros haben höhenverstellbare Tische. Und es gibt einen Pausenraum mit Tischtennisplatte. In der Umgebung ist die Fabrik der größte Arbeitgeber und engagiert sich auch. So wurde der Bau eines neuen Krankenhauses finanziert, die Straße ins Dorf ausgebaut und der lokalen Schule bezahlt die Fabrik einen Englischlehrer.
Privates Kapital
Solche Investoren wünscht man sich in der Ukraine. Anfang Juni hatte in Berlin die Ukraine-Wiederaufbaukonferenz stattgefunden. Auf der zweitägigen Veranstaltung kamen mehr als 2.000 Vertreter aus Wirtschaft, internationalen Fördereinrichtungen und der Zivilgesellschaft zusammen. Dabei sollte privates Kapital für den Wiederaufbau des von Russland angegriffenen Landes aktiviert werden.
Nach Aussagen von Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) seien mehr als 100 Vereinbarungen zwischen Regierungen und Unternehmen unterzeichnet worden. So sei eine Allianz zur Finanzierung von kleinen und mittelgroßen ukrainischen Unternehmen geschlossen worden. Diese gelten als Rückgrat der ukrainischen Wirtschaft.
Sie tragen nach Angaben der Bundesregierung zu zwei Drittel der Wertschöpfung in der Ukraine bei und schaffen mehr als 80 Prozent der Arbeitsplätze dort. „Einer der wirksamsten Hebel für den Wiederaufbau sind vergünstigte Finanzierungen für kleine und mittlere ukrainische Unternehmen“, sagte Schulze. Diese könnten sich die wegen der Inflation hohen Zinssätze von 20 bis 25 Prozent nicht leisten.
Tatsächlich gab es auf der Konferenz nicht nur Willensbekundungen. Ein wichtiges Instrument der Bundesregierung ist dabei die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Sie habe auf der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Berlin Verträge im Volumen von rund 190 Millionen Euro abgeschlossen.
Arbeitsplätze sichern
Dabei gehe es um neue Zusagen zur Reparatur und Wiederherstellung der Energie-Infrastruktur, Berufsbildung und kommunalen Infrastruktur, teilte die KfW mit. Hohe Relevanz habe aber auch die Förderung privater Unternehmen, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten, Arbeitsplätze zu sichern und Einkommen zu generieren.
Oliver Gierlichs ist der Chef von Bayer Ukraine. Der 57-Jährige Kölner ist seit 2020 im Land und hat in seiner Managerkarriere beispielsweise in Mexiko oder der Elfenbeinküste schon Erfahrungen gesammelt, von Regimewechseln bis zu Währungsturbulenzen. In die Ukraine habe ihn seinerzeit die Neugier auf Osteuropa getrieben.
„Ich bin beeindruckt, wie dynamisch sich das Land entwickelt hat.“ Für viele Ukrainer sei Polen der Vergleichsmaßstab. Anfang der 1990er Jahre waren die Länder wirtschaftlich in etwa auf demselben Niveau, die Strukturen ähnlich. „Diese Entwicklung wie in Polen wünschen sich die Menschen hier auch.“
Gierlichs ist seit März auch Präsident der Deutschen Auslandshandelskammer in Kyjiw. Und hat so gewissermaßen auch einen Überblick über andere Industrien und Sektoren. Die Intention der Wiederaufbaukonferenz findet er richtig. Ausländische Investitionen stärken die Wirtschaft, was wiederum mehr Steuereinnahmen für den Staat generiere. Außerdem sei es auch ein Zeichen an die Menschen, dass es in der Ukraine eine Zukunft gebe.
Einige Baustellen
Aber wenn es ins Detail geht, sieht er dann doch noch so einige Baustellen, sowohl auf ukrainischer als auch auf internationaler Seite. Um wirklich mehr ausländisches Kapital anzulocken, müsste dieses gegen Kriegsschäden aller Art abgesichert sein. Jedoch die Bedingungen dafür seien noch nicht überzeugend. Die Ukraine locke zwar mit Steuerrabatten bei Investitionen. „Aber überwiegend für neue Unternehmen, nicht so sehr für die, die bereits im Land sind.“
Auch der Arbeitsmarkt macht Probleme. Viele Menschen sind geflüchtet, und die Armee zieht immer mehr Männer zum Wehrdienst ein. Dabei sei Bayer noch begünstigt. „Als Unternehmen der kritischen Infrastruktur können wir die Hälfte unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im wehrfähigen Alter zurückstellen lassen.“
Aber das gelte immer nur für sechs Monate und dazwischen verursache der bürokratische Prozess Lücken. Er nennt ein Beispiel aus der Pharmasparte: Nach ukrainischem Recht müsse jede Charge eines Medikaments zertifiziert werden. „Wenn unsere Pharmazeutin mobilisiert wird, steht der ganze Prozess still.“
Eigentlich meint er, gehe es beim Wiederaufbau auch nicht darum, buchstäblich etwas wiederaufzubauen. Man müsse in die Zukunft denken und es gleich besser machen. Da gehe es um erneuerbare Energien, aber auch um Produktions- und Baustandards. Das alles müsse auch bei Ausschreibungen berücksichtigt werden.
Attraktives Investitionsziel
„Wenn immer nur das billigste Angebot gewinnt, wird das nicht nachhaltig sein.“ Bei der Sanierung und dem Neubau von Wohnungen sei in einem Land wie der Ukraine mit kalten Wintern und heißen Sommern eine gute Isolation nötig. „Sonst kostet das nachher wieder Energie.“
Einer von Gierlichs Wünschen ist unlängst zumindest näher gerückt – nämlich der Beginn der Beitrittsgespräche zur Europäischen Union. Der perspektivisch bessere Zugang zum EU-Markt mache die Ukraine auch als Investitionsziel attraktiver. Und die europäischen Standards sollen auch bei der Korruptionsbekämpfung helfen. Dabei gebe es nach wie vor Probleme, aber auch deutliche Fortschritte.
Er hofft, dass die Mitgliedsländer nicht in egoistische Sichtweisen zurückfallen und verweist dabei auf die monatelangen Blockaden der Grenze durch polnische Landwirte und Trucker. Natürlich dürften im Falle einer Mitgliedschaft auch hohe Summen in die ukrainische Landwirtschaft fließen, aber die Mittel habe Polen für seine Landwirte vor 20 Jahren auch gern von Brüssel angenommen.
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