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Intime und politische Überraschungen

Höhepunkte der Duisburger Filmwoche: Serpil Turhans Porträt dreier kurdischer Frauen und Martin Gressmanns Film über die Todesmärsche aus dem KZ Sachsenhausen

Sie gehört zu den drei Generationen in Serpil Turhans Dokumentarfilm „Köy“ Foto: Salzgeber

Von Fabian Tietke

Drei mal drei mal drei. Drei kurdische Frauen aus drei Generationen begleitet Serpil Turhan über drei Jahre in ihrem Dokumentarfilm „Köy“ (türkisch für Dorf), der die diesjährige Duisburger Dokumentarfilmwoche letzten Mittwoch eröffnete. „Köy“ ist ein erstaunlicher Film. In ruhigen Einstellungen zeigt Turhan Gespräche, die sie von hinter der Kamera her mit den drei Frauen führt.

„Köy“ ist ein ebenso intimer wie politischer Film. Er ist immer in Bewegung auf der Tonebene, in den Gesprächen, aber auch im Bild: „feine Gesten […] beobachten und darin bewegliche Verhältnisse […] erzählen“, nennt das Madeleine Bernstorff treffend in einer Besprechung des Films. Die drei Frauen beziehen sich sehr unterschiedlich auf die Dörfer, aus denen sie oder ihre Familien stammen, auf ihre Gegenwart in Berlin, auf die türkische Politik.

Nach einem Jahr Coronapause war die Duisburger Filmwoche dank einer strikt umgesetzten 2G-Regel wieder in Präsenz möglich. Das ersparte den Teilnehmer_innen, die Filme auf den heimischen Rechnern zu sehen, vor allem aber erlaubte es, die für die Filmwoche so zentralen Diskussionen nach den Filmen wieder am Ort zu führen. Anders als die halbherzigen Gespräche vieler anderer Festivals sind die Diskussionen in Duisburg dank der im Saal versammelten Kompetenz ebenso prägend für den Eindruck, den ein Film hinterlässt, wie die Vorführung selbst.

Das mussten Stefan Kolbe und Chris Wright gleich am zweiten Abend erfahren, als ihr Film „Anmaßung“ über einen Sexualmörder in der Diskussion zerlegt wurde. Im Falle von „Köy“ hatte das Gespräch eher Werkstattcharakter und gab Einblick in Schwierigkeiten bei der Suche nach Geld für den Film: „ ‚Kurden gleich PKK gleich Terrorismus‘ist in den Köpfen vieler Verantwortlicher die Gleichung“, zitiert das Protokoll (auch dies eine Eigenart der Filmwoche) die Produzentin des Films, Barbara Groben.

Ganz anders das Gespräch mit Aleksey Lapin nach dessen Film „Krai“. Nicht wenigen ging Lapin mit seiner demonstrativ unbeteiligten Performance vor dem Film und in der Diskussion eher auf den Senkel, was aber auch an dem eher halbgaren Potpourri von semifiktionalen Szenen gelegen haben könnte, die „Krai“ ebenso zäh wie unermüdlich aneinanderreiht. „Krai“ ist nicht das einzige Beispiel für einen insgesamt eher soliden als herausragenden Jahrgang.

Als Stimmen in einem Streit in Salomé Jashis Film „Taming the Garden“ lauter werden, schaut ein Kalb durch die Tür. Der Film schneidet zurück auf den Streit, aber vermutlich dürfte der auch dem Kalb schlicht egal gewesen sein. Der Film handelt von irgendwas mit Bäumen, die ein reicher Mensch in Georgien aufkauft. Aber weil der Film es nicht erzählt, weiß man leider nichts Genaueres, sieht dafür in vielen selbstverliebten Bildern, wie ein Baum abtransportiert wird.

Der Kontrast zu den Bildern von Martin Gressmann „Nicht verrecken“ (beziehungsweise eigentlich aus unerfindlichen Gründen „Nicht ver RECKEN“) könnte nicht größer sein. Gressmanns Film trägt in unprätentiösen Bildern Zeugnisse des Todesmarsches aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen zusammen. „Nicht verrecken“ arbeitet aus der unauffälligen Landschaft Brandenburgs die Allgegenwart der deutschen Tötungsmaschinerie heraus. Auf Dorfstraßen erzählen Anwohner_innen, wie sie als Kind Zeug_innen des Mordens geworden sind, Ritzereien in Bäumen zeugen noch Jahrzehnte später von der Anwesenheit der Häftlinge im Wald von Below. Gressmanns Film ist formal recht konventionell: Zeitzeugengespräche, ein zurückgenommener Kommentar.

Gressmanns Film war nicht der einzige eher konventionelle Film, der dieses Jahr überzeugen konnte. Shelly Silvers „Girls/Museum“ begleitet eine Gruppe von Schülerinnen durch das Leipziger Museum der bildenden Künste. Vor den Bildern reflektieren die Schülerinnen über das Gesehene, die Darstellung von Frauen und malende Männer. Silvers Film wurde mit dem 3sat-Dokumentarfilmpreis prämiert.

Lässt man die Filme der diesjährigen Duisburger Filmwoche Revue passieren, bestätigen sich erneut eine Reihe von Trends. Da ist zum einen die Neigung zu statischen Bildern, gerne unterlegt mit brummenden, rauschenden Tönen, die vor Ort aufgenommen wurden. Ausgerechnet die Zeiten der digitalen Kameras scheinen zu einem Fetischismus des Bildes geführt zu haben, jeder Moment des Kontrollverlusts wird penibel vermieden, wie einbetoniert blicken die Kameras auf die Wirklichkeit.

Die Interaktion mit dem Gezeigten hat sich in die Sicherheit des Schneideraums verlagert. Die Kommentarstimme ist zur Ausnahme geworden. Zwei Varianten, die ihr verblieben sind, finden sich in dem neutralen Sachkommentar wie in „Nicht verrecken“ oder im Kollagieren der mehr oder weniger statischen Bilder mit ebenso statischen Texten.

Auch mit Blick auf diese formalen Trends bleibt „Köy“ ein Höhepunkt des Festivals. Serpil Turhan bleibt in ihrem Film als Stimme hinter der Kamera präsent, auch die Bilder sind Teil einer Interaktion. In Zeiten pandemischer Distanz ist „Köy“ ein Film voller Nähe. Mehr davon.

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