piwik no script img

Interview"Billigfliegerei macht unsere Welt mit kaputt"

Der Flughafen Tempelhof soll für Zeppeline und Ballons offen bleiben. Diese Technik ist zukunftsweisend, sagt der Zukunftsforscher Rolf Kreibich.

Was in Brandenburg nicht so recht funktionieren wollte, könnte in Tempelhof Wirklichkeit werden: ein Flugplatz für Luftschiffe. Bild: RTR
Waltraud Schwab
Interview von Waltraud Schwab

taz: Herr Kreibich, Sie beschäftigen sich als Wissenschaftler mit Zukunft. Warum?

Rolf Kreibich: Wir leben heute in einer Welt, in der Entscheidungen an einem Ende des Globus die Entwicklung am anderen Ende beeinflussen. Wenn wir eine Verbesserung der Lebensqualität erreichen und zukunftsfähig bleiben wollen, müssen wir globale Überlegungen an den Anfang stellen, um auch im Kleinen sinnvoll entscheiden und handeln zu können. Das spürt man ja schon bei Fragen wie: Sollen wir fliegen oder doch lieber mit der Bahn fahren?

Zukunftsfähigkeit ist ein großes Wort.

Für große Probleme braucht man große Worte. Denken Sie an den Klimawandel, die Verschmutzung der Meere, die Vernichtung von Pflanzen- und Tierarten oder den ungeheuren Rückgang landwirtschaftlich nutzbarer Bodenflächen. Wir stoßen bei vielem an Belastungsgrenzen und sind dabei, bald unsere eigenen Lebens- und Produktionsgrundlagen zu vernichten. Damit vernichten wir natürlich uns selbst.

Wie konnte es so weit kommen, dass wir unsere eigenen Grundlagen zerstören?

Unsere Hauptproduktivkräfte liegen seit etwa 300 Jahren im Bereich Wissenschaft und Technologie. In den letzten 100 Jahren haben wir im Zuge dessen die Arbeitsproduktivität um 4.000 Prozent, die materielle Wohlstandsmehrung und das Nettoeinkommen um 3.500 Prozent gesteigert. Unsere Lebenszeit wurde in diesem Zeitraum fast verdoppelt. Und wir haben unsere Mobilität um den Faktor 100 verändert. Menschen, die vor 150 Jahren lebten, erschiene, was wir haben, wie das Paradies auf Erden. Noch meine Großmutter ist nie aus einem Radius von 35 Kilometern rausgekommen. Gerade die Möglichkeiten und Erfolge haben uns blind gemacht für die gigantischen Schattenseiten unseres Lebensstils - insbesondere hinsichtlich der Zerstörung der Biosphäre, aber auch was die Konflikte zwischen Ländern der Dritten Welt und den Industrienationen betrifft.

Sie haben das Thema Mobilität angesprochen. Wie spielen da Zukunftsprojektionen hinein?

Das kann man an Zahlen deutlich machen: Wir haben in den westlichen Ländern eine hohe Mobilität - obwohl wir auch immer mehr in die Stauzone, die Kehrseite der Mobilität also, geraten. In Deutschland kommen heute auf 1.000 Einwohner 560 Pkws. In Kalifornien sind es schon 1.100 - also mehr Autos als Menschen. In China aber sind es 18 Autos auf 1.000 Leute, in Indien 11, in Pakistan und Indonesien 7. Wenn die Menschen in diesen Regionen die Motorisierung so übernehmen wie wir, kann das die Biosphäre nicht mehr tragen.

Müssen wir den Individualverkehr anders denken?

Auf jeden Fall. Wobei ich ziemlich sicher bin, dass wir auch langfristig Individualfahrzeuge haben werden. Das Auto hat ja zusätzliche Funktionen. Es ist Transportmittel, Wohnzimmer auf Rädern, Hi-Fi-Box, Sportgerät, Liebesnest, Prestigeobjekt, Kinoplatz. Das müssen wir mitbedenken. Zudem hat es eine hohe Faszination, die der öffentliche Nahverkehr nicht hat. Letzteres muss man ändern.

Wie beurteilen Sie als Zukunftsforscher denn das Fliegen?

Fliegen ist eine unabdingbare Angelegenheit der Globalisierung. Allerdings haben wir in Hinblick auf Nachhaltigkeit durch die Billigflieger einen dramatischen Rückschlag erlitten. Vor einigen Jahren glaubten wir, mit der schnellen Bahn, die ökologisch viel sinnvoller ist als das Fliegen, den Verkehr bis auf eine Distanz von 800 Kilometer etwa erreichen zu können. Durch die Billigflieger wurde das völlig ausgehebelt. Wir haben jetzt eine enorm hohe Mobilität im Flugbereich.

Wie kann man das ändern?

Wir brauchen sofort die Kerosinbesteuerung. Und im Rahmen einer ökologischen Finanzreform müssten die Schadstoff-, Lärm- und CO2-Emissionen ganz anders verrechnet werden. Fliegen muss teuer werden. Es muss höhere Start- und Landegebühren geben, gestaffelt nach Energieverbrauch, Lärm- und Schadstoffemissionen. Das wäre ein Anreiz, die Flugzeuge effizienter und emissionsärmer zu machen. Die Billigfliegerei macht unsere Welt mit kaputt.

In immer kürzerer Zeit werden immer größere Strecken überbrückt. Gibt es aus Sicht eines Zukunftsforschers so etwas wie ein Ende der Beschleunigung?

Eine schwierige Frage: Ich hoffe, dass wir die Entschleunigung hinbekommen. Vor allem, weil vieles gar nicht so hoch beschleunigt werden müsste. Siehe die Autos. Die Zulassungszahlen für alle Pkws bis 180 Stundenkilometer haben abgenommen und die ab 180 km/h zugenommen. Ob das noch sinnvoll ist, wenn man im Stau steht? Zumal alle Prognosen davon ausgehen, dass der Pkw-Verkehr in Europa bis 2020 noch 20 bis 25 Prozent, der Güterverkehr sogar um etwa 75 Prozent steigen wird. So etwas muss doch aufrütteln und die Politik zwingen, ganz andere Weichen zu stellen.

Wie sieht denn aus Sicht eines Zukunftsforschers etwa die entschleunigte Stadt aus?

Es ist ganz klar die Stadt der kurzen Wege. Wohnen, Arbeit, Freizeit, Kultur, Einkauf muss wieder zusammengebracht werden und darf nicht auseinandergerissen werden wie jetzt.

Das spräche doch dafür, den Flughafen Tempelhof, über dessen Zukunft am Sonntag abgestimmt wird, offen zu lassen.

Das ist ein unsinniges Konzept. Ein City-Airport, losgelöst von einem Luftdrehkreuz, wie es der Flughafen Schönefeld wird, was soll das bringen? Zumal in der Stadt etwa 600.000 Menschen negativ von den Lärm- und Schadstoff-Emissionen von Tempelhof betroffen sind. Rund um Schönefeld wären es nur 25.000 Leute. So was muss man mit den ganzen gesundheitlichen und sozialen Folgebelastungen in Betracht ziehen. Für das wunderbare, große City-Areal Tempelhof müssen jetzt vernünftige Alternativen gefunden werden.

Welche schlagen Sie vor?

Es bietet sich an, dort im Rahmen einer Internationalen Bauausstellung die neuen Entwicklungen im Baubereich zu fördern: innovatives, solares Bauen, ökologisches Bauen mit Niedrighaus-Energiestandards, Passivhausstandards. Natürlich sollten dort Wohn- und Dienstleistungsbereich zusammenkommen. Auch Gewerbe im Wissenschaftsbereich ließe sich in den vorhandenen Gebäuden wunderbar verwirklichen. Ich denke da an Akademien zur Bildung, Ausbildung und Weiterqualifizierung in Zukunftstechnologien.

Gibt es keine Vorschläge, wo mehr Zukunft drinsteckt?

Oh doch, etwas ganz Besonderes sogar: Es gibt hochinteressante Entwicklungen in der Luftverkehrstechnik bei den sogenannten Leichter-als-Luft-Technologien. Das sind Ballons, Drohnen, Zeppeline und Luftschiffe. Die sind zwar langsamer, aber sie haben einen äußerst geringen Energie- und Schadstoffverbrauch. Sie brauchen wenig Start- und Landefläche, können in Modulbauweise gebaut werden und sind praktisch lärmfrei. Das wäre natürlich ein Riesenknüller, wenn Tempelhof in Fortsetzung seiner Flughafentradition zukünftig als Lufttechnologiezentrum ausgebaut würde.

Das Lufttechnologiezentrum klingt nach so etwas wie einem Kompromiss zwischen Befürwortern und Gegnern der Offenhaltung.

Ich kann verstehen, dass man an diesem Flughafen nostalgisch hängt. Diese historische Dimension muss man aufgreifen und in die Zukunft denken, nicht in die Vergangenheit. Ein Lufttechnologiezentrum verknüpft mit einem Museum etwa über Luftschiffe, Flieger, die Luftbrücke verbunden mit Leichter-als- Luft-, Beobachtungs-, Rettungs-, Personen- und Gütertransporttechniken wäre ein echter Knüller für Berlin. Das hätte weltweit eine große Anziehungskraft. Ein City-Airport dagegen ist in die Vergangenheit gedacht und großer Unfug.

Was glauben Sie, wie die Tempelhof-Abstimmung ausgeht?

Das weiß ich nicht. Aber eins kann man sagen: Die Zukunftsmöglichkeiten, die Tempelhof ohne Flugplatz bietet, wurden viel zu wenig diskutiert. Für dieses Versäumnis kann man den Senat nicht genug kritisieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • R
    RAppe

    Super- die Ansätze mögen stimmen, aber Städter sind immer noch wert, als irgendwelche Zonis ?! In der Schönefelder Umgebung von BBI sind nícht 25 000 Leute betroffen, sondern weit über 100 000 Leute. Dazu kommt noch die Hälfte der Wasserversorgung aus dieser Region, von der Erholung von den Müggelbergen inklusive Einfluss auf die Stadtökologie ganz zu schweigen. Wenn keiner mehr weiß was es wert ist, kann die anonyme Stadt auch nicht überleben.