Interview: Oberflächlichkeit ist an sich nicht negativ
■ Gespräch mit Bernd Weißig, dem Regisseur der Potsdamer Inszenierung von „Der Tod und das Mädchen“
taz: Gab es Überlegungen, wie sich das Stück auf die Gegenwart bezieht?
Bernd Weißig: Ich denke, daß die Konstellation natürlich simpel ist. Aber einfach ist ja nicht unbedingt schlecht. Ich denke, daß das Stück sehr gut geschrieben ist, daß das Drama für sich stehen kann und arbeitet. Ich glaube, sehr sehr viele Bezüge werden sich am Abend herstellen, zur Stasi-Verfolgung, zum Fall Stolpe. Das ist so wahrscheinlich, daß es falsch ist, das zu befördern.
Es ist gar kein Theaterstück wegen der von außen an die Personen herangetragenen, informierten Sprache aus der Beobachter-Position des Autors.
Daß ich das für ein gut geschriebenes Stück halte, das muß ich präzisieren. Von Anfang an habe ich das nicht als Theaterstück gelesen, sondern als Drehbuch. Daß Dorfman kein theatererfahrener Autor ist und das kein Theaterstück ist, habe ich beim ersten Lesen bemerkt. Daß Polanski daraus einen Film machen will, ist das richtige für den Text. Deshalb habe ich versucht, Kino zu machen. Wir spielen Breitwandtheater auf einer breiten, aber schmalen Bühne, die fast keine Tiefe hat, sehr viel Musik dazwischen. Lichtüberblendungen. Ich habe auch einen Abspann organisiert. Die letzte Szene (Besuch eines Konzerts) habe ich als Dia-Serie gemacht, sehr filmisch aufgerissen mit synchronisierten Texten. Ich habe mich gar nicht bemüht, aus dem Drehbuchtext einen Theaterabend zu machen. Es ist eigentlich Live-Kino, so würde ich das nennen.
Ist es nun kulinarisch inszeniert oder kritisch?
Das kann ich jetzt nicht mehr sagen. Durch diese Art Auflösung der Inszenierung ist es möglicherweise ziemlich leicht zu verspeisen. Die Kritik müßte ich mir gefallen lassen. Aber ich habe kein schlechtes Gewissen. Es ist Unsinn, daraus einen Theatertext machen zu wollen. Die Inszenierung ist ein Kompromiß mit dem Versuch, eine Kino-Ästhetik zu Hilfe zu nehmen und an einigen Stellen den Text dramatisch zu machen. Das ist meine Kritik an Dorfman: Er läßt die Figuren unendlich viel sagen und wiederholt das noch mal in den nächsten Szenen. Man wird verrückt. Das ist wie eine Russisch-Lektion. Wir sagen noch einmal den Satz: Ich gehe in die Schule.
Er kommt nicht von innen an diese Figuren heran, deswegen entsteht dieser Mangel an Vielfalt.
Das finde ich aber nicht schlecht. Das empfinde ich als Konflikt. Aber es ist so widersprüchlich. Ich finde, Dorfman so als kontemplati, über den Wolken stehend, daß der gar nicht rankommt an die Figuren.
Hat es bei der Oberflächlichkeit der Sprache Spielschwierigkeiten gegeben?
Nein. Ich finde Oberflächlichkeit an sich nicht negativ. Wenn das Theaterstück nur so eine Lackschicht ist, ist es eine gute Chance, daß ein Schauspieler anfängt, mit seiner Biographie da ranzugehen. Ich habe hier drei gute Schauspieler, die Lust haben, ihr Ding mitzubringen. Da ist die Oberfläche ganz gut, sie haben wenig Vorschriften. Das finde ich besser als eine blutvolle Figur, wo ich alle Aspekte schon drin habe. Das war leicht, man mußte nicht erst so einen Berg sprengen, um an etwas heranzukommen.
Obwohl das Bergsprengen ja auch erst die Biographie des Schauspielers hervortreiben könnte...
Ich habe auch andere Erfahrungen gemacht. Mit Heiner Müllers „Wolokolamsker Chaussee“ habe ich mich drei Jahre herumgeschunden, bevor es dann in Potsdam zur Uraufführung von Teilen kam. Da mußten wir mit dem Preßlufthammer wochenlang rumknattern, um überhaupt ein Stück Erde zu sehen. Hier fand ich das sehr angenehm. Ich hab's nicht oberflächlich gemacht, aber man mußte nicht mit der Planierraupe rumfahren. Ich habe lange nach einer guten Schauspielerin gesucht, sie auch als Gast geholt, weil ich hier niemanden sah. Es war mir wichtiger, eine gute Besetzung zu finden, als das Stück zu analysieren. da gab's nicht viel zu lesen. Interview: Berthold Rünger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen