Interview zur Schulstrukturreform: "Gemeinsames Lernen nützt allen"
Sonderschulen sollten in die Sekundarschulen integriert werden. Das helfe starken wie schwachen Schülern und spare Geld, sagt Erziehungswissenschaftler Ulf Preuss-Lausitz. Mit dem Arbeitskreis Gemeinsame Erziehung hat er dafür ein Konzept entwickelt.
taz: Herr Preuss-Lausitz, bei der Schulstrukturreform ist viel von gemeinsamem Lernen die Rede - über die Förderschulen für Kinder mit Lern- oder anderen Behinderungen steht in Bildungssenator Zöllners Reformplänen aber kein Wort. Wieso nicht?
83 Schulen mit sonderpädagogischen Förderschwerpunkten gibt es in Berlin. Sie werden von insgesamt 11.630 SchülerInnen besucht. 7.672 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind in die Regelschulen integriert. Obwohl das Berliner Schulgesetz dem integrativen Unterricht Vorrang vor dem Besuch einer Förderschule gibt, ist die Integration der Förderschulen in die Sekundarschulen in Senator Jürgen Zöllners (SPD) Schulstrukturreform nicht vorgesehen. Der Arbeitskreis Gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher (AK GEM) hat im Februar ein Konzept zur Einbeziehung der Förderschulen in die Reform entwickelt. AWI
Ulf Preuss-Lausitz: Vielleicht wollte der Senat nicht zu viele Baustellen auf einmal bearbeiten. Es gibt aber seit dem vergangenen Jahr eine UN-Konvention, die festgelegt, dass Kinder mit Behinderungen das Recht auf gemeinsamen Unterricht in Regelschulen haben. Die gilt auch für Berlin. Ich glaube deshalb schon, dass das Thema jetzt auf die Tagesordnung kommt. Und das ist auch sinnvoll: Denn wenn die neue Sekundarschule eine integrative Schule sein soll, und das steht ja im Senatskonzept, dann gehören dort alle Kinder dazu, auch Kinder mit Behinderungen.
Viele Eltern fürchten, dass gemeinsames Lernen mit schwachen SchülerInnen Leistungsstärkeren schaden könnte. Wie wollen Sie denen denn auch noch die Integration von SonderschülerInnen schmackhaft machen?
Befürchtungen hat man immer dann, wenn man noch keine Erfahrungen hat. Die Erfahrungen, die wir in den vergangenen 30 Jahren im gemeinsamen Unterricht von Behinderten und Nichtbehinderten gewonnen haben, lauten aber: Leistungsschwächere SchülerInnen profitieren beim gemeinsamen Lernen im kognitiven, also im Leistungsbereich. Aber auch Leistungsstärkere profitieren, und zwar sowohl im sozialen wie auch im Leistungsbereich. Es festigt eigenes Wissen, einem anderen Schüler etwas zu erklären. So werden beim integrativen Lernen sogar zusätzliche Kompetenzen erworben.
Es gibt Förderzentren mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie geistige Entwicklung oder Seh- oder Hörbehinderungen. Wollen Sie deren SchülerInnen alle in die Regelschulen integrieren?
Unser Vorschlag ist: Jedes Kind hat Anspruch auf gemeinsames Lernen, soll aber nicht dazu gezwungen werden. Ein Kind mit Downsyndrom etwa soll ein Recht darauf haben, in der allgemeinen Schule integrativ unterrichtet zu werden, aber es muss das nicht. Das sollen die Eltern entscheiden. Aber in den Förderbereichen Lernen, Verhalten, Sprache gibt es sehr viele Kinder aus problembelasteten Familien. Da wäre es zynisch zu sagen, wir überlassen es den Eltern, wo das Kind unterrichtet wird.
Sind Lehrer auf so heterogene Klassen vorbereitet?
Die heutige Schule - insbesondere in Berlin - ist ohnehin eine Schule mit sehr heterogener Schülerschaft, deshalb wird in den meisten längst binnendifferenziert unterrichtet. Selbstverständlich brauchen Lehrer aber zusätzliche Unterstützung. Gemeinsamer Unterricht findet ja nicht einfach dadurch statt, dass man alle Kinder in eine Klasse stopft. Es braucht zusätzliche personelle Ressourcen, etwa Sonderpädagogen. Aber die gibt es an den Förderzentren ja schon. Die will ich nur verlagern, also in die Regelschule integrieren. Und natürlich brauchen wir Fortbildung für Lehrer, die bisher nur konventionellen Unterricht gemacht haben.
Das klingt nach Kosten.
Es wird nicht teurer als bisher. Bereits jetzt bekommen Integrationsklassen ja zusätzliche Sonderpädagogikstunden. Außerdem gibt es in den Förderzentren ja noch weitere Betreuungskräfte wie pädagogische Unterrichtshilfen. Die will ich einfach verlagern. Wenn man das so macht - und das haben andere Staaten und Bundesländer ja schon getan -, kann man mit den vorhandenen Ressourcen Integration kostenneutral machen. Ich habe ausgerechnet, dass wir damit sogar Ressourcen gewinnen.
Wie das?
Zurzeit finanzieren wir ja zwei Systeme: das Regelschulsystem sowie die Sonderschulen mit extra kleinen Klassen, extra Gebäuden mit extra Betriebskosten, extra Hausmeistern, extra Schulsekretärinnen, extra Schulleitern. Die fallen natürlich nicht alle gleich weg, wenn ich die Systeme integriere, aber mittelfristig spart das Kosten.
Wie optimistisch sind Sie, dass Herr Zöllner Ihre Vorschläge in sein Konzept aufnimmt?
Die Fraktionen von SPD und Linkspartei sind sehr aufgeschlossen, was den gemeinsamen Unterricht betrifft. Der Vorrang der integrativen Erziehung steht auch im Berliner Schulgesetz. Und wir müssen die UN-Konvention umsetzen. Da liegt also öffentlicher Druck auf dem Senator. Und es gibt ja gute Konzepte. Ich bin deshalb optimistisch, dass wir weiterkommen.
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