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■ Interview zur Rolle und Zukunft des russischen Militärs„Viele Generäle sind für Jelzin“

Nikolai Moskovenko ist Vorsitzender des Armeeverbandes „Schild“. Major a.D. Moskovenko ist Kandidat der „Wahl Rußlands“ für die Moskauer Stadtduma. „Schild“ hat 27.000 Mitglieder.

taz: Bereits einen Tag nach dem Oktoberputsch begannen im Westen die Spekulationen über eine neue Abhängigkeit Jelzins vom Militär. Hat die Armee eine „Gegenleistung“ für die Schüsse aufs Weiße Haus erhalten?

Nikolai Moskovenko: Der Armee war es nicht unangenehm, an der Lösung eines innenpolitischen Konflikts beteiligt zu werden. Denn dadurch wuchs natürlich ihr Einfluß. Letztendlich hätte dies zu einem neuen totalitären System führen können. Durch die Wahlen am 12. Dezember können die Ansprüche der Armee jedoch zurückgeschraubt werden. Die politische Macht erhält eine neue Legitimation. Konkret belohnte Jelzin die Armee mit zwei Maßnahmen: Die Verschiebung der Einzugsfristen für die wehrpflichtigen Studenten wurde aufgehoben. Die Offiziere bekommen neues Kanonenfutter. Außerdem kam es zu einer Erhöhung des Solds. Hier kann man schon von Bestechung sprechen.

Wie stark ist Jelzins Rückhalt in der Armee?

Dies kann an der Bewertung der Oktoberereignisse abgelesen werden. Zwei Drittel der Soldaten billigten Jelzins Entschluß, das Weiße Haus beschießen zu lassen. Wir leben aber in einer Zeit, die sich schnell ändert. Es gibt eine Menge ungelöster Probleme. Drei Monate haben die Soladten keinen Sold erhalten. Wohnungen fehlen nicht nur für die aus Deutschland kommenden Soldaten. Doch Jelzin ist es schon vor dem Augustputsch 91 gelungen, durch verschiedene Versprechungen die Armee auf seine Seite zu ziehen. Er war auch für sie die „Hoffnung Rußlands“. Deshalb unterstützten ihn die unteren Offiziere, eine große Anzahl der höheren Offiziere, aber nur der kleinere Teil der Generäle. Im Oktober hat sich die Situation geändert. Jetzt ist die Zahl der Generäle, die für Jelzin sind, gewachsen.

Angesichts der Probleme der Armee hätte diese im Moskauer Machtkampf doch eigentlich den Obersten Sowjet unterstützen müssen. Schließlich haben die Abgeordneten ihnen stets große Versprechungen gemacht.

Die Medien und auch „Schild“ haben immer wieder deutlich gemacht, daß die Versprechungen des Obersten Sowjet durch nichts abgesichert sind. So war einer ihrer Wortführer an dem blutigen Eingreifen der Roten Armee in Baku 1990, Vilnius 1991 und auch beim Augustputsch 1991 beteiligt. Diesen Leuten vertrauten die Soldaten nicht mehr.

In den letzten Jahren hat sich das politische Engagement der Armee erhöht. Die Unterstützung der Separatisten im Dnjeprgebiet Moldovas oder in Abchasien – ist sie auf Befehl Moskaus erfolgt? Oder haben die dort stationierten Generäle selbständig gehandelt?

Die Soldaten hören auf den Befehl ihres Oberbefehlshabers, des Präsidenten. Wenn ein General etwas gegen den Präsidenten sagt, so wird er schon morgen ein General a.D. sein.

Das heißt, daß Moskau die abchasischen Separatisten unterstützte?

Ja. Wir sind in vieler Hinsicht die Gefangenen des früheren Systems. So hat sich (der frühere Verteidigungsminister und Putschist) Marschall Jasow 1990 im „Haus für politische Aufklärung“ bei einer Rede vor Kriegsveteranen über die Unabhängigkeitsbestrebungen Georgiens beklagt. Da Rußland diese nicht hinnehmen könne, kündigte er die Unterstützung Abchasiens an. Dann werde Georgien keine Chance haben. Und so lieferte die Führung eine große Anzahl Waffen nach Abchasien, bald war die abchasische Regierung stark genug, um den Krieg mit Georgien wagen zu können. Nach dem Machtwechsel, nach der Auflösung der UdSSR, konnte man die alte Politik nicht von einem auf den anderen Tag ändern.

Die russischen Nationalisten haben immer wieder angekündigt, die Interessen der russischen Bevölkerung im Baltikum auch mit Waffengewalt verteidigen zu wollen.

Ich verstehe nicht, warum die Balten heute alle Russen für ihre Probleme verantwortlich machen. Schließlich habe ich keinen Balten nach Sibirien transportiert. Wir wissen doch alle, daß die Armee das sowjetische System zusammenhielt. Doch inzwischen geht es bereits nicht mehr um die Auflösung, sondern um die Bildung einer neuen Union. Viele, allen voran die Ukrainer, haben angesichts der wirtschaftlichen Probleme genug von ihrer Unabhängigkeit. Die Basis dieser neuen Union wird jedoch nicht das Militär, sondern die Ökonomie bilden. Die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, über welche Ressourcen Rußland verfügt. Durch unsere materielle und durch unsere geistige Stärke werden wir Europa erobern. Nicht mit unseren Panzern.

Die Pläne Ihrer Organisation sehen einen grundsätzlichen Umbau der Armee vor. Ihre Stärke soll auf eine Million begrenzt werden. Das heißt aber auch, daß rund 700.000 Soldaten „abgebaut“ werden müssen. Die Unzufriedenheit der Soldaten wird weiter steigen.

Schon unter Peter dem Großen wurden die Führer der Armee im Laufe der Jahre zu politischen Führern. Bei unserer Heeresreform wollen wir mit drei Städten Rußlands beginnen, dort, wo es die stärksten Garnisonen gibt. In Moskau, Nischny Nowgorod und St. Petersburg. Drei Vorbildabteilungen, für die die Grundsätze Freiwilligkeit, Wettbewerb und harte Auslese gelten. Und nach zwei, drei Jahren werden aus diesen Soldaten Unteroffiziere, dann höhere Offiziere. Aus der Kompanie wird ein Bataillon usw. Und nach acht bis zehn Jahren wird der erste dieser Offiziere der Verteidigungsminister Rußlands werden. In der Armee soll es aber zudem eine neue Respektierung der Persönlichkeit und eine andere Besoldung geben. Dies werden wir unter anderem mit Hilfe von – streng kontrollierten – Spenden der Wirtschaft ermöglichen. Die Wirtschaft wird auch einen Teil der gut ausgebildeten Soldaten aufnehmen, die die Armee verlassen. Vor allem aber: Die neue Armee darf keine innenpolitische Funktion haben.

Dies sieht aber die vor kurzem verabschiedete russische Militärdoktrin ganz anders.

Daß die Armee auch bei innenpolitischen Konflikten eingesetzt werden kann – diese Formulierung wurde erst nach den Oktoberereignissen in die Doktrin aufgenommen. Die „Schild-Union“ lehnt sie ab.

Die russische Armee soll also eine Berufsarmee sein. Das heißt, daß Sie die Wehrpflicht abschaffen wollen?

Ja. Daran arbeiten wir.

Wie soll sich Ihre neue Armee in das Sicherheitssystem Europas einfügen? Wird Rußland Mitglied der Nato werden?

Die beiden Verteidigungspakte sind in der Zeit des Kalten Krieges entstanden. Sie bestimmten in den letzten vier Jahrzehnten die Situation in Europa. Doch nach dem Zerfall des Warschauer Pakts hat die Nato keine Aufgaben mehr. Sie hat keinen Gegner mehr. Deshalb müßte die Nato aufgelöst und nicht erweitert werden. Die Staaten Osteuropas können jedoch allein entscheiden, ob sie Mitglied der Nato werden wollen oder nicht. Doch vor wem will die Nato Osteuropa schützen? Vor Moldova etwa? Will die Nato sich etwa in innenpolitische Konflikte einmischen? Auch in Jugoslawien geht es doch darum, eine politische Lösung zu finden. Und nicht um eine militärische. Interview: Sabine Herre, Moskau

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