Interview zu Hunger in Äthiopien: "Fruchtbarer Boden für Schnittblumen"
Eine Hungersursache ist das "Land Grabbing", das Pachten von Land durch Regierungen oder Unternehmen auf fremdem Staatsgebiet. Angebaut wird, was Geld bringt.
taz: Manche Leute behaupten, der Hunger in Ostafrika würde damit zusammenhängen, dass die Bauern ihr Land nicht effizient bearbeiten.
Nyikaw Ochalla: Das ist eine interessante Theorie. Wahr ist, dass der Staat Äthiopien die Verantwortung für Dürre und Hunger trägt. Die Hungersnot in Ostafrika ist nicht Schuld der Bauern und keine Folge von Mangel an Technologie, sondern Schuld der Regierungen, die internationale Hilfe veruntreuen. Ich will nicht abstreiten, dass es auch bei den betroffenen Personen Schwächen gibt. Aber die Hauptverantwortung trifft die Politik. Auch die EU könnte etwas tun, wenn sie nachhaltige Landwirtschaft von Kleinbauern fördern würde, statt großflächig zu investieren.
Wieso ist es möglich, dass so viele Kleinbauern ihr Land an ausländische Investoren und Spekulanten verlieren? Äthiopien gilt ja als Paradies für Land Grabbing.
Die Regierung macht diese Geschäfte hinter dem Rücken der Betroffenen. Eigentlich widerspricht das der Verfassung, die vorschreibt, dass die betroffene Gemeinschaft befragt werden muss. In der Praxis wird sie nicht einmal informiert. Irgendwann kommen die Traktoren und beginnen die Felder und Grabstätten der Ahnen niederzupflügen. Das ist auch eine Verletzung des Menschenrechts auf Nahrungssicherheit.
ist Aktivist der Anywaa Survival Organisation. Seine Organisation setzt sich für das Überleben des indigenen Stamms der Anuak (Anywaa) ein. Der ehemalige Regierungsfunktionär wurde verfolgt, als er eine Regionalpartei gründen wollte. Seine Mitstreiter wurden ins Gefängnis geworfen, einige starben dort. Ochalla kommt aus der äthiopischen Region Gambela und lebt seit fast zwölf Jahren in London.
Gibt es da konkrete Fälle?
Im Juni vergangenen Jahres kaufte ein Auslandsäthiopier 1.500 Hektar in der Region Gambela. Das Oakland-Institut in Kalifornien hat das recherchiert. Die Bewohner des Landes hatten davon keine Ahnung. Sie hatten Mais und Hirse ausgesät. Eines Tages kam der neue Eigentümer und ließ die Leute von privaten Sicherheitstrupps verjagen. Dann erntete er die Felder der Vertriebenen ab. Es handelte sich um Angehörige des Anuak-Stammes. Der indische Karuturi-Konzern ist auch ein klassisches Beispiel, wie die Sache läuft, nämlich ohne jede Transparenz und Rechenschaftspflicht. Allein in der Region Gambela, an der Grenze zum Südsudan, hat Karuturi 300.000 Hektar bestes Farmland, das jetzt für die Schnittblumenproduktion genutzt wird. Vom Staat gibt es keinerlei Auflagen. Vor zehn Jahren exportierte Äthiopien Schnittblumen für 300.000 US-Dollar. Heute sind es 200 Millionen Dollar, fast 70-mal so viel.
Welche Vorteile hat die lokale Bevölkerung?
Ich glaube, gar keine: Korruption und niedrigste Standards in den Betrieben. In den Gewächshäusern arbeiten acht- bis zehnjährige Kinder acht Stunden täglich für einen Euro oder weniger. Es werden auch Arbeiter aus Indien und Pakistan eingesetzt oder äthiopische Arbeitskräfte aus anderen Regionen.
Gibt es Organisationen, die sich dagegen zur Wehr setzen?
Die Regierung lässt das nicht zu. Der Widerstand gegen Land Grabbing in Gambela hat eine hässliche Geschichte. Im Jahre 2003 wurden in drei Tagen 400 bis 500 Anuak massakriert. Anlass war der Tod von acht Geheimdienstleuten, die von Unbekannten in einen Hinterhalt gelockt worden waren. Man hat sich nie bemüht, die Schuldigen zu finden. Aber 50.000 Menschen wurden vertrieben. Viele leben noch heute in Lagern im Südsudan. Einzelpersonen, die sich gegen Land Grabbing auflehnen, werden getötet und in den Fluss geworfen. Viele haben es daher vorgezogen, das Land zu verlassen.
Warum zieht es so viele Investoren ausgerechnet nach Gambela?
Es ist die fruchtbarste Region von Äthiopien. Vier Flüsse, die in den Weißen Nil münden, sorgen für ausreichende Bewässerung. Und das Land ist in gutem Zustand. Die Anuak als Halbnomaden betrieben seit Generationen Rotationsfeldbau. Wenn sie merken, dass die Felder nicht mehr genug hergeben, ziehen sie weiter und kommen erst wieder, wenn sich der Boden erholt hat. Die Investoren holzen zuerst einmal alles ab, und dann pflanzen sie Monokulturen, die viel Dünger und Chemikalien brauchen. Die Konsequenz wird verschärfter Klimawandel sein. Gambela ist eine heiße Gegend. Schon jetzt beginnen Flüsse und stehende Gewässer auszutrocknen. Für die Anuak bedeutet das die schleichende Vernichtung. Es gibt nur mehr 60.000 bis 100.000 in Äthiopien - und weit weniger im Südsudan. Eines Tages könnten wir entdecken, dass die Regierung den Genozid beabsichtigt hat.
Ihre These ist also, dass Dürre und Hunger eine Folge von Land Grabbing sind?
Es ist eine der Ursachen. Wenn heute Menschenmassen von einem Landesteil in den anderen fliehen, weil sie nichts zu essen haben, so hat das Ursachen in der Vergangenheit, die von der äthiopischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft übersehen wurden. Alles spricht dafür, dass das Ausmaß der humanitären Katastrophen in Zukunft weit größer sein wird. Wenn nämlich lokalen Gemeinschaften Land durch Verpachtung an Investoren entzogen wird. Von Land Grabbing sprechen wir, wenn das Land nicht für den Anbau von Pflanzen, die der Ernährung dienen, verwendet wird, sondern beispielsweise für Blumen oder für den Anbau von Energiesaaten. Dadurch wird nicht die Wirtschaft belebt, sondern die Abhängigkeit von Nahrungsmittelhilfe verstärkt. Für die Zukunft ist das ganz klar. In der Vergangenheit gab es auch andere Versäumnisse.
Bei vergangenen Hungerkatastrophen wurde Äthiopien vorgeworfen, gleichzeitig Lebensmittelhilfe empfangen und Lebensmittel exportiert zu haben. Ist das jetzt auch so?
In der Politik Äthiopiens hat Nahrung immer eine zentrale Rolle gespielt. Gegenüber der Gebergemeinschaft spielt man gern das arme Land, das Hilfe braucht. Aber die gespendeten Lebensmittel kommen oft nicht bei den Bedürftigen an. Als die Leute, die heute an der Regierung sind, gegen Kaiser Haile Selassie kämpften, wurden Lebensmittel zum Teil über die Rebellen kanalisiert. Sie haben sie weiterverkauft, um Waffen zu kaufen. Auch heute darf man ihnen nicht über den Weg trauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter